München. In einem sind Deutschland und Bayern richtig gut: Lange Stromausfälle, wie sie in anderen Ländern durchaus üblich sind, kommen hier so gut wie gar nicht vor. Das ist allerdings auch schon eines der wenigen positiven Ergebnisse, die das jüngste Energiewende-Monitoring im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) zeigt. In allen anderen untersuchten Bereichen stehen Bayern und Deutschland schlecht da.
Bereits zum zwölften Mal hat die vbw vom Forschungsinstitut Prognos untersuchen lassen, inwiefern die Energiewende voranschreitet. Dabei vergleichen die Forscher den aktuellen Ist-Zustand mit den Zielen, die sich Bundes- und Staatsregierung selbst auf dem Pfad der Energiewende gegeben haben.
Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze müssen Hand in Hand gehen
So sollen etwa laut den energiepolitischen Zielen der Bundesregierung im Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Bis zum Jahr 2045 möchte Deutschland klimaneutral sein – das heißt, der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen wird entsprechend drastisch gesenkt. Zugleich sollen Privatleute und Industrie insgesamt weniger Energie verbrauchen.
Deutlich mehr Tempo bei allen Vorhaben gefragt
Um diese Ziele zu erreichen, muss unser Land einen gewaltigen Kraftakt stemmen. Es geht nicht nur darum, einige neue Windräder aufzustellen. Der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen erfordert auch einen Umbau des Leitungsnetzes. Doch insbesondere bei den Ausbauzielen von Windkraftanlagen als auch von Übertragungsnetzen hinken wir massiv den eigenen Plänen hinterher. Almut Kirchner, Direktorin und Partnerin von Prognos, mahnte an: „Wir müssen in den nächsten 6 Jahren genauso viel machen wie in den letzten 14 Jahren!“
Betrachtet man ausgewählte einzelne Felder, wird das Ausmaß des bisherigen Rückstands deutlich:
- Zubau erneuerbarer Energien: Allein in Bayern müssen bis 2030 mehr als 1.000 neue Windräder entstehen. Anders ausgedrückt: Jedes Jahr müssen Windräder mit einer Kapazität von insgesamt 700 Megawatt ans Netz gehen. Im Jahr 2023 kamen gerade mal Anlagen mit insgesamt 38 Megawatt dazu! Günstiger sieht es in Bayern bei Photovoltaik aus: Laut „Bayernplan Energie 2040“ ist ein Zubau von 1,9 Gigawatt pro Jahr nötig, das wurde 2023 deutlich übertroffen mit neuen Photovoltaik-Anlagen, die 3,5 Gigawatt liefern. Diese erfüllen sogar nahezu das noch strengere Klimaziel Bayerns, das bis 2030 einen jährlichen Zubau von 3,7 Gigawatt erforderlich macht.
- Ausbau der Übertragungsnetze: Laut aktuellem Bedarfsplan müssen in Deutschland in den kommenden Jahren zusätzliche Leitungen mit einer Länge von 12.168 Kilometern gebaut werden. Bis September 2023 waren davon nur knapp 10 Prozent fertig! Das Problem: Vor allem in Norddeutschland produzieren große Windkraftanlagen Strom, der nach Bayern gelangen muss. Die dafür vorgesehenen Trassen Süd-Link mit Ende im unterfränkischen Bergrheinfeld sowie Südost-Link bis zur Isar befinden sich größtenteils erst im Planfeststellungsverfahren. Wenn jedoch Netze fehlen, müssen die Netzbetreiber immer häufiger eingreifen, wenn zum Beispiel in windstarken Zeiten zu viel oder bei Flaute zu wenig Strom produziert wird. Dadurch wird das Netz insgesamt instabiler – und hohe Kosten entstehen durch die ständigen Eingriffe zur Regulierung des Stromflusses.
- Senkung der Treibhausgasemissionen: Alle Sektoren – von Industrie über private Haushalte bis hin zu Verkehr und Energiewirtschaft – müssen langfristig runter von den hohen Treibhausgasemissionen. Über 85 Prozent der Emissionen entstehen bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdgas, Erdöl. Bis 2030 will man 65 Prozent weniger ausstoßen als im Jahr 1990. Derzeit liegt man bei einem Minus von etwa 40 Prozent gegenüber 1990. Allerdings, so schränkte Prognos-Direktorin Kirchner ein, ist die derzeitige „positive“ Entwicklung auch der schwierigen konjunkturellen Lage geschuldet: Weil die Industrie weniger produziert, entstehen automatisch weniger Emissionen!
- Klimafreundliches Heizen: Private Haushalte haben beim Heizen den größten Einfluss auf Treibhausgasemissionen. Das Monitoring zeigt, dass sich vor allem bei Neubauten etwas in Richtung klimafreundlicherer Heizmethoden bewegt: Mehr strombasierte Wärmepumpen oder Fernwärme anstelle von Heizungen mit fossilen Brennstoffen wie Öl oder Erdgas kommen hier zum Einsatz. In den Bestandsgebäuden verändert sich dies jedoch nur sehr langsam.
Schnellere Verfahren, mehr Windkraft und wettbewerbsfähige Strompreise nötig
Angesichts der alarmierenden Ergebnisse des Monitorings forderte Bertram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer: „Jetzt gilt ‚Machen statt nur wollen‘!“ Fakt sei, dass die Zeit schwinde und der Handlungsdruck mit jedem Jahr steige. „Deutschland windet sich, schafft aber die Wende nicht. Im Augenblick können wir lediglich von einem ‚Energiewendchen‘ sprechen.“
Als besorgniserregend bezeichnete er auch die Entwicklung der Energiepreise. „In diesem wichtigen Feld haben wir uns weiter verschlechtert“, sagte er. Er forderte daher die Bundesregierung auf, alles zu tun, um die Preise zu senken. Dazu gehören etwa wettbewerbsfähige Strompreise für die Industrie.
Um die Energiewende langfristig zu einem Erfolg zu machen, fordert Brossardt zudem besonders im Freistaat auch den verschärften Ausbau der Windenergie sowie Tempo beim Netzausbau. Dazu sei auch nötig, die Genehmigungsverfahren zu verschlanken und zu vereinfachen, damit Vorhaben schneller realisiert werden können.
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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