Hannover. Stürmische Zeiten stehen speziell vielen Automobil-Zulieferern bevor: Die Corona-, die Chip- und die Energiekrise, Letztere befeuert durch Putins Krieg in der Ukraine, belasten die Unternehmen schwer. Bei der Hanomag Lohnhärterei Gruppe bereitet man sich darauf vor. „Eine solche Dynamik haben wir noch nie erlebt“, unterstreicht Geschäftsführer Karsten Seehafer.

Um jetzt notwendige Investitionen tätigen zu können, profitiert die Hanomag-Gruppe vom Beteiligungsfonds „NTransformation Kfz-Zulieferer“. Das Land Niedersachsen und der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall haben diesen Fonds aufgelegt. Er hat ein Volumen von 40 Millionen Euro: 30 Millionen stellt das Land zur Verfügung, 10 Millionen hat der Verband beigesteuert.

„Der Fonds hilft uns, auf den Wandel der Automobil-Industrie reagieren zu können.“

Karsten Seehafer, Geschäftsführer

Lohnhärtereien, das sind meistens mittelständische Spezialbetriebe: Als Dienstleister veredeln Sie Stahl- und Aluminiumbauteile für unterschiedlichste Kunden. Mit speziellen thermochemischen Verfahren werden die Werkstoffeigenschaften optimiert, etwa die Oberflächenhärte oder die Zugfestigkeit. Der Aluminiumanteil, der in Autos verbaut wird, wächst stetig – und dürfte mit der Transformation zur E-Mobilität weiter steigen: Alu ist leicht, es verringert das Fahrzeuggewicht und erhöht so indirekt die Reichweite der E-Fahrzeuge.

Neue Tochterfirma erweitert das Dienstleistungsspektrumder Hanomag Lohnhärterei Gruppe

Die Hanomag Lohnhärterei Gruppe hat nun eine Beteiligung aus dem Fonds erhalten und mit dieser Hilfe eine Tochterfirma gegründet – die Hanomag Aluminium Solutions GmbH. „So konnten wir ein für unsere Branche in Europa einzigartiges Unternehmen schaffen“, betont Seehafer. „Jetzt ist es uns möglich, den kompletten Bearbeitungsprozess von Struktur- und Fahrwerksteilen in Großserie unter einem Dach anzubieten.“

aktiv besucht den Familienbetrieb am Stammsitz in Hannover und erfährt: Karsten Seehafer und sein Vater Konrad Seehafer haben das Unternehmen in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer der größten Lohnhärtereien Deutschlands aufgebaut. Die Geschichte der Firma hat freilich schon früher begonnen, als Betriebshärterei der Hannoverschen Maschinenbau AG, kurz Hanomag.

Rund 1.000 Kunden vertrauen ihre Bauteile der Hanomag Lohnhärterei Gruppe an

Technologische Herausforderungen hatten für die Ingenieure hier immer einen besonderen Reiz. Als Aluminium Ende der 80er Jahre im Automobilbau eine immer größere Rolle spielte, gehörten die Hannoveraner zu den ersten Lohnhärtereien, die sich an diese anspruchsvollen Veredelungsprozesse heranwagten. Heute gehören zehn Werke zur Gruppe, sie arbeiten für rund 1.000 unterschiedlichste Kunden.

Zu den Experten am Standort Hannover zählt etwa Marian Krawczyk, der den Bereich rund um die Topfofenanlage verantwortet. Die Bauteile, die auf über 900 Grad erwärmt werden, sind vor allem Teile für Windkraftanlagen. Aber auch für den Maschinenbau oder die Landmaschinen-Industrie wird hier gearbeitet. Fünf Tage kann ein solcher Prozess dauern. Im Durchschnitt sind die Teile, die Krawczyk in den Ofen fährt, 500 Kilo schwer. Das bisher größte Bauteil, so erzählt er stolz, wog zwölf Tonnen! „Erfahrung ist das Wichtigste bei der Wärmebehandlung“, betont der Mann, der selbst schon 32 Jahre dabei ist.

Metalle zu veredeln, das ist ein sehr kapital- und sehr energieintensives Geschäft. Seehafer schätzt, dass sein Unternehmen „insgesamt 100 Millionen Euro in alle zehn Werke investiert hat“ – für einen Mittelständler eine gewaltige Summe. „Wir waren deshalb sehr angenehm überrascht, dass das Geld aus dem Beteiligungsfonds schnell und unbürokratisch ausgezahlt wurde.“

Wobei die Industrie weitere Erleichterungen benötigt: Deutschland leistet sich extrem hohe Energiekosten. Die Preise für Strom und Erdgas sind schon in den letzten Jahren gestiegen und mit Beginn der Ukraine Krise explosionsartig in die Höhe geschnellt. Seehafer macht klar: „Das ist ohne Unterstützung nicht mehr zu tragen.“

Beteiligungsfonds soll die Investitionskraft stärken

Der Beteiligungsfonds „NTransformation Kfz-Zulieferer“ ist ein bundesweit einmaliges Modell: Mit staatlichem und privatem Kapital werden Unternehmen bei der Transformation von der Verbrennertechnologie zu alternativen Antrieben unterstützt. Außerdem sollen digitale Geschäftsmodelle entwickelt werden, etwa im Bereich autonomes Fahren.

Hintergrund: Viele traditionsreiche Firmen müssen sich komplett neu erfinden, während das bestehende Geschäft unter den Folgen der Corona-Pandemie, anhaltenden Lieferengpässen und stark gestiegenen Energiekosten leidet. Zehntausende Arbeitsplätze in der Industrie könnten dieser Entwicklung allein in Niedersachsen zum Opfer fallen.

Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands NiedersachsenMetall, sieht den Fonds als Beispiel für eine moderne Wirtschaftspolitik. Als einziger Arbeitgeberverband in Deutschland bringe sich NiedersachsenMetall aktiv in ein solches Finanzierungsmodell ein. „Mit unserem Engagement geben wir ein Bekenntnis für den Industriestandort Niedersachsen ab“, so Schmidt. „Mit den Beteiligungen stärken wir die Eigenkapitalquote der Zulieferer, so lässt sich deren Kreditrahmen bei den Banken erhöhen.“ Mehr dazu lesen Sie hier auf aktiv-online.

Der Fonds hat ein Volumen von 40 Millionen Euro. Dieses Geld steht für kleine und mittlere sowie auch große Firmen jenseits von 280 Mitarbeitern bereit. Über die Vergabe des Beteiligungskapitals entscheiden Vertreter von Land und Wirtschaft zusammen, die Fondsverwaltung läuft über eine Tochtergesellschaft der N-Bank. Die als Beteiligung gewährte Finanzspritze soll nach etwa sieben bis zwölf Jahren verzinst zurückgezahlt werden.

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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