München. Vorletzter Platz für Deutschland, kurz vor Luxemburg –zu diesem Ergebnis kommt ein europäischer Ländervergleich der Lebensarbeitszeit. Das mag auf den ersten Blick verblüffen. Doch eine neue Studie im Auftrag des Roman-Herzog-Instituts (RHI) belegt den Befund. Erstellt wurde sie von Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Kurze Lebensarbeitszeit wird bald zum handfesten Problem
Natürlich, Millionen Beschäftigte klotzen auch hierzulande richtig rein, können so manches Lied davon singen. Doch in rein zeitlicher Hinsicht ergibt sich ein vergleichsweise niedriger Durchschnittswert über alle Beschäftigten hinweg. Um die Lebensarbeitszeit zu ermitteln, zogen die Experten verschiedene Daten heran: etwa den Eintritt ins Erwerbsleben, die wöchentliche, monatliche, jährliche Arbeitszeit, den Anteil an Voll- und Teilzeitbeschäftigten, den Renteneintritt sowie die Jahre im Ruhestand. So arbeiten die Deutschen rechnerisch während ihres Lebens knapp 53.000 Stunden. Die Beschäftigten im erstplatzierten Estland kommen dagegen auf über 71.000 Stunden, die Schweizer auf rund 64.000 Stunden. Unsere Grafik zeigt beispielhaft einige der 29 untersuchten europäischen Staaten.
„Schön für uns!“, könnten wir uns über das Abschneiden Deutschlands freuen. Doch so einfach ist es nicht. Denn wenn die Bevölkerung eines Landes wenig arbeitet, fließt auch weniger Geld aus Erwerbseinkommen in die Sozialkassen, auch die Rentenkasse. Das wird zunehmend ein Problem, weil spätestens ab 2025 die geburtenstarke Boomer-Generation in den Ruhestand geht, aber weniger junge Menschen nachrücken. Allein deshalb klafft bei uns ab dem Jahr 2030 eine Lücke von drei Millionen Arbeitskräften! Das verschärft den Fachkräftemangel, der jetzt schon vielerorts vorherrscht.
Was lässt sich dagegen tun? Auch das haben sich die Studienautoren angeschaut. Potenzial für eine Ausweitung des Arbeitsvolumens über das gesamte Erwerbsleben hinweg liegt unter anderem in längerer Erwerbstätigkeit, heißt: Das Rentenalter wird heraufgesetzt. Oder die Ruheständler arbeiten weiter, auch wenn sie schon Rente beziehen. Das würde nicht zuletzt den Vorlieben zahlreicher älterer Menschen entsprechen – viele wünschen sich einen flexibleren Übergang in den Ruhestand als derzeit möglich.
„Silver Worker“ anderswo deutlich länger in Beschäftigung
Tatsächlich zeigt ein Blick auf Länder mit hoher Lebensarbeitszeit, dass dort viele „Silver Worker“ einer Beschäftigung nachgehen. So nennt man Ruheständler, die nach Renteneintritt weiterarbeiten. In Island und Japan ist das fast die Hälfte aller 65- bis 69-Jährigen, in den USA sind es gut 30 Prozent. In Deutschland arbeiten nur rund 19 Prozent dieser Altersgruppe.
Für Professor Randolf Rodenstock, Vorstandsvorsitzender des RHI, ist daher klar: „Beim Thema Lebensarbeitszeit müssen wir über den deutschen Tellerrand hinausblicken, wenn wir die Folgen des demografischen Wandels wirksam abmildern wollen.“ Natürlich könne nicht jede berufliche Tätigkeit beliebig lange ausgeübt werden. Aber viele Ältere blicken auf einen breiten Erfahrungsschatz zurück, sind oft noch gesund, fit und motiviert. „Dieses Potenzial dürfen wir nicht verschenken. Dafür müssen wir freiwillige Weiterarbeit finanziell, aber auch inhaltlich attraktiv gestalten.“
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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