Köln. Mehr Geld etwa für Erntehelfer oder Beschäftigte in Bäckereien und Frisiersalons: Am 1. Oktober macht der gesetzliche Mindestlohn einen Sprung nach oben – auf 12 Euro in der Stunde! Das Minimalsalär steigt damit nach Januar und Juli schon zum dritten Mal in nur zwölf Monaten, macht insgesamt satte 25 Prozent Entgeltplus.

Diese Erhöhung ist das Dreieinhalbfache der fürs Jahr 2022 erwarteten Inflation. Über sechs Millionen Menschen profitieren davon, vor allem Frauen sowie Beschäftigte in Ostdeutschland.

Lohnfindung sollte Sache von Gewerkschaften und Arbeitgebern sein

Für viele Menschen sei das „möglicherweise der größte Lohnsprung in ihrem Leben“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil . Ein „armutsfester Mindestlohn“ sei auch eine Frage des „Respekts vor ehrlicher Arbeit“.

Heftige Kritik kommt von den Arbeitgebern. Für Steffen Kampeter, den Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberdachverbands BDA, ist das neue Mindestlohngesetz „der grundlegendste Angriff auf die Tarifvertragsautonomie in der Geschichte der Bundesrepublik“. Eigentlich soll die Lohnfindung ja Sache der Gewerkschaften und Arbeitgeber sein – nun aber greift der Staat massiv ein, zum zweiten Mal in wenigen Jahren.

Schon bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 gab die Regierung die Höhe vor: Jeder Erwerbstätige sollte mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdienen, egal ob in Vollzeit, Teilzeit oder Minijob.

Neuer Minimallohn wirkt sich auf rund 100 Tarifverträge aus

Danach passte dann die eigens geschaffene Mindestlohnkommission das Entgelt regelmäßig an. Sie besteht aus je drei Gewerkschaftern und Arbeitgebervertretern sowie zwei Ökonomen, eine Zusammensetzung, die die wichtige Rolle der Tarifparteien respektiert. Zudem orientierte die Kommission sich stets daran, wie sich die Tariflöhne entwickelt hatten, so Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Jetzt aber hat die Politik die Kommission brüskiert und die Messlatte selbst hochgelegt. Der 12-Euro-Mindestlohn wirkt sich auf rund 100 regionale oder bundesweite Tarifverträge aus!“

Denn: Entweder ersetzt das gesetzliche Minimum niedrigere Tarifentgelte – oder es bringt Gewerkschaften dazu, für die untersten Tarifgruppen höhere Löhne zu fordern, damit sie wieder mehr erhalten als den Mindestlohn. Beispiele dafür gibt es schon. In bayerischen Hotels und Gaststätten sind seit April 12 Euro das niedrigste Entgelt, ab April 2023 dann 12,60 Euro. Gebäudereiniger bekommen ab Oktober 13 Euro die Stunde.

Mindestlohn droht zum Spielball der Politik zu werden

Und jetzt greift auch noch die EU in die Tarifautonomie ein, sie hat eine Mindestlohnrichtlinie auf den Weg gebracht. Diese gibt Standards vor, wie er festgelegt und aktualisiert werden soll. 60 Prozent des mittleren Einkommens hält die EU für angemessen, der deutsche Mindestlohn erfüllt das ab Oktober.

Dessen Höhe soll in Zukunft wieder die Mindestlohnkommission bestimmen. Aber schon jetzt fordert eine Partei 13 Euro pro Stunde … Tarifexperte Lesch befürchtet deshalb, dass der Mindestlohn auf Dauer zum Spielball der Politik wird: „Nächstes Mal, nächste Debatte.“

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

Alle Beiträge des Autors