Potsdam. Die Gesellschaft altert. Meist wird das als Gefahr wahrgenommen. Die renommierte Journalistin Margaret Heckel beschäftigt sich seit Jahren mit dem demografischen Wandel. Sie sagt: „Weg mit dem negativen Altersbild. 100 Lebensjahre werden das neue Normal!“ aktiv sprach mit ihr über längeres Leben und Arbeiten – und die Freude am Neuen.

Frau Heckel, lassen Sie uns übers Alter reden. Ich bin 52 – da kommt jetzt nicht mehr ganz so viel, oder?

Ach was. Sie können durchaus noch weitere 40 Jahre vor sich haben. Stellen Sie sich mal vor, wenn das, was Sie in den letzten vier Jahrzehnten erlebt haben, alles noch mal kommt.

Ob ich das wirklich will …

Müssen Sie selber wissen. Aber die dominierende Frage der Midlife-Boomer zwischen 45 und 65 ist: Welche tollen Dinge kann ich in meinem Leben noch anfangen?

Und was wäre das?

Wer im 21. Jahrhundert in Deutschland geboren ist, hat eine 50-prozentige Chance, 100 zu werden! Was für Möglichkeiten! Der Anspruch muss dann auch sein, sich nicht bloß aufs Sofa zu legen.

Jetzt kommt’s: Sie wollen, dass wir alle länger arbeiten.

Das gehört zu einem 100-jährigen Leben dann einfach dazu. Aber unser Arbeitsleben wird anders aussehen als heute.

Wie denn?

Es wird variantenreicher. Der Wechsel von Vollzeit in Teilzeit und wieder zurück wird normal sein, Arbeits- und Ruhephasen sich abwechseln. Mit 55 noch mal den Beruf zu wechseln, wird normal. Viele werden sich vorstellen können, mit einem guten Modell dann auch bis an die 70 zu arbeiten.

Aber wie sollen Firmen diese Flexibilität organisieren?

In Betrieben mit zehn Leuten ist das schwieriger als in Konzernen, klar. Aber jedes Unternehmen wird da ranmüssen, das sieht man heute schon.

Woran denn?

Der Fachkräftemangel zwingt uns. Berufseinsteiger fragen heute nach Vier-Tage-Wochen und Sabbaticals. Ganz selbstverständlich. Sie fordern diese Flexibilität ein, weil sie wissen, dass sie selbst im Lauf ihres längeren Erwerbslebens oft Neues lernen oder gar ganz den Beruf wechseln müssen.

Lebenslanges Lernen wird noch wichtiger?

Ja. Wir müssen berufliche Bildung aufsplitten, sodass man sie sich in Modulen nach und nach erarbeiten kann. Die Digitalisierung wird uns da helfen.

Wird jetzt nicht jeden begeistern.

Für viele klingt lebenslanges Lernen nach Bedrohung. Aber jeder sollte sich immerzu fragen: Wann war das letzte Mal, dass man etwas zum ersten Mal gemacht hat?

Wieso?

Weil es ein tolles Gefühl ist, etwas Neues anzufangen. Der Energieschub dabei ist verblüffend!

Manche wollen sich aber einfach auf die Rente freuen …

Ich will vor dem Rentenloch bewahren, in das so viele fallen. Wenn plötzlich kein Wecker mehr klingelt, der Garten gemacht und der Keller aufgeräumt ist, plötzlich Leere aufkommt. Und das 30 Jahre lang? Na, viel Spaß!

Was raten Sie?

Wenn wir länger arbeiten, entzerrt sich das Arbeitsleben. Man muss nicht mit Mitte 40 alles erreicht haben. Man kann mit 55 mal drei Monate Pause machen. Dann hat man auch eine Ahnung, wie sich Ruhestand anfühlt.

Und womöglich auch, was einem Arbeit bedeutet?

Exakt. Und wenn die Bilanz tatsächlich negativ ausfallen sollte, dann ist die Konsequenz eben nicht, aufzuhören. Sondern etwas zu verändern.

Zur Person: Margaret Heckel

  • Autorin: Heckel ist Autorin des Bestsellers „So regiert die Kanzlerin“.
  • Journalistin: Sie hat jahrelange Erfahrung als Politik- und Wirtschaftsjournalistin, zuletzt als Politik-Chefin der „Welt“, „Welt am Sonntag“ und „Financial Times“.
  • Demografie-Expertin: Seit Jahren konzentriert sich Heckel auf Lösungen für den demografischen Wandel. Sie ist bundesweit bei Vorträgen, Workshops und Moderationen gefragt.

Zahlen und Fakten

  • 23.513 Hundertjährige leben in Deutschland
    Okay, stopp: Das ist eine Zahl von 2021, und wir wissen nicht, wie viele davon noch leben. Aber was wir wissen: Im Jahr 2011 waren es nur 14.436 Glückliche mit 100 Kerzen auf der Torte. Die Tendenz also spricht schon mal für sich!

  • 21 Jahre bleiben einer 65-Jährigen noch:
    Ganz ruhig, ist nur der statistische Durchschnitt. Männern bleiben hierzulande im Schnitt noch knapp 18 Jahre. Klingt jetzt wenig, finden Sie? Dann schauen wir zurück: 1950 winkten 65-jährigen Männern wie Frauen nur noch etwa 13 Jahre.

  • 1.000.000 Deutsche sind Ü 67 und arbeiten weiter:
    Interessant: 400.000 Berufstätige sind sogar über 70 Jahre alt. Eine schmale Rente ist dabei nicht der häufigste Grund für Arbeit im Ruhestand. Laut Umfragen sind Spaß an der Arbeit und soziale Kontakte die wichtigste Motivation.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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