Berlin. Die Grundrente ist da: Etwa 1,3 Millionen Menschen sollen ab 2021 automatisch diese neue Sozialleistung erhalten, mit der bestimmte Mini-Renten aufgestockt werden. Vor allem ältere Frauen profitieren jetzt davon. In diesem Artikel beantwortet eine Expertin zehn wichtige technische Fragen zur neuen Grundrente. Zunächst sollte man allerdings um wichtige Hintergründe wissen.

Denn so richtig freuen kann uns das Ganze nicht: Nach jahrelangem politischen Streit ist im Corona-Sommer 2020 ein unnötig kompliziertes Regelwerk beschlossen worden, das nebenbei neue Ungerechtigkeiten schafft – und nach Einschätzung von Experten nicht sonderlich zur Bekämpfung der Altersarmut beitragen wird. Finanziert wird die Grundrente nicht über Rentenbeiträge, sondern vom Steuerzahler, über eine Erhöhung des Bundeszuschusses. Von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2021 steigen die Kosten schrittweise bis auf 1,6 Milliarden 2025. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand wird auf 400 Millionen Euro im Jahr der Einführung und je 200 Millionen Euro in den Folgejahren geschätzt.

Der Normenkontrollrat ist denn auch entsetzt. Die Grundrente sei geradezu ein Beispiel dafür, wie man Gesetze nicht machen sollte, heißt es im Jahresbericht dieses nationalen Gremiums. Denn: „Der Nutzen für die Bürger hätte wesentlich bürokratieärmer, kostengünstiger und damit effizienter erreicht werden können.“

Die neue Grundrente hilft gerade nicht zielgenau gegen mögliche Altersarmut

Die Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat sehen das ebenso. „Die Grundrente ist insgesamt ein wenig zielgerichtetes Instrument, um Altersarmut zu adressieren“, heißt es deutlich im aktuellen Jahresgutachten. Denn die Grundrente komme einerseits auch Personen zugute, die ohne die Neuerung gar nicht armutsgefährdet wären – und andererseits helfe sie tatsächlich armutsgefährdeten Menschen nicht, zum Beispiel Selbstständigen mit niedrigem Einkommen.

„Der Begriff ‚Grundrente‘ führt in die Irre“, erklärt Jochen Pimpertz, Experte fürs Thema am Institut der deutschen Wirtschaft. „Denn diejenigen, die die Kriterien nicht erfüllen, bleiben wie bisher auf die Grundsicherung angewiesen – und fühlen sich womöglich erst recht stigmatisiert.“ Die Grundrente begünstigt nur Senioren mit mindestens 33 Beitragsjahren – „wer weniger Zeiten auf dem Rentenkonto hat, aus welchen Gründen auch immer, geht leer aus“, macht Pimpertz klar. „Insbesondere Geringverdiener mit weniger als 33 Beitragsjahren bleiben im Zweifel auf die Sozialhilfe angewiesen. Während zum Beispiel manche Teilzeit-Arbeitnehmer in den Genuss einer Aufstockung kommen, die viele von ihnen gar nicht benötigen würden.“

Welche Menschen haben also tatsächlich Anspruch auf diese Sozialleistung, welche Zeiten werden anerkannt? aktiv hat mit einer Expertin gesprochen, mit Katja Braubach von der Deutschen Rentenversicherung Bund, und beantwortet auf dieser Basis die wichtigsten Fragen.

Ist die Grundrente eine Einheitsrente für alle?

Nein. Die Grundrente ist einfach nur ein Aufschlag auf die Rente, für bestimmte Menschen, die zwar viele Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben, aber dennoch nur einen sehr geringen Rentenanspruch haben. Rentner, die in ihrem Erwerbsleben im Mittel 80 Prozent des Durchschnittseinkommens oder mehr verdient haben, erhalten keine Grundrente. Anders ausgedrückt: Wer in seinen aktiven Jahren im Durchschnitt 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr oder mehr erarbeitet hat, hat keinen Anspruch auf den Zuschlag.

Wer hat Anspruch auf die neue Grundrente?

Grundsätzlich muss man natürlich Anspruch auf Leistungen der Rentenversicherung haben, also Rentner sein. Die Grundrente gibt es bei sämtlichen Rentenarten. Also nicht nur bei der klassischen Altersrente, sondern grundsätzlich auch bei Erwerbsminderungsrenten und Hinterbliebenenrenten, beispielsweise für Witwen.

Welche Voraussetzungen gelten für die Grundrente, wann gibt es sie tatsächlich?

Voraussetzung ist, dass man mindestens 33 Grundrentenjahre erreicht hat. Dazu zählen alle Jahre, in denen man Pflichtbeiträge bezahlt hat – und außerdem bestimmte andere Zeiten, etwa für Kindererziehung. Wer weniger Jahre auf dem Rentenkonto hat, bekommt also keine Grundrente, auch wenn die Rente sehr niedrig ist.

Und wer neben seiner Mini-Rente noch andere Einkünfte hat, bekommt unter Umständen nur eine gekürzte oder gar keine Grundrente (mehr dazu unten).

Wie hoch ist die Grundrente?

Im Schnitt wird der Rentenzuschlag laut Arbeitsminister Hubertus Heil bei gut 75 Euro im Monat liegen. Im Einzelfall ist auch weniger oder mehr möglich, maximal knapp 420 Euro. Die Höhe der Grundrente wird stets ganz individuell berechnet und hängt vom Einkommen während des gesamten Arbeitslebens ab. Vereinfacht gesagt wird dabei zunächst geprüft, wie hoch das Einkommen in den mindestens 33 Beitragsjahren war. Dabei werden aber nur Jahre gewertet, in denen man mindestens 0,3 Rentenpunkte erreicht hat, also 30 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient hat. Aus den ermittelten Rentenpunkten wird ein Durchschnittswert ermittelt. Dieser wird verdoppelt. Ist das Ergebnis höher als 0,8, wird der Wert auf 0,8 gekürzt. Anschließend werden von diesem Aufschlag noch 12,5 Prozent abgezogen. Durch diese Berechnungen erhält man trotz Grundrente weniger Geld als jemand, der sich seine Rentenpunkte vollständig selbst erarbeitet hat.

Ein Rechenbeispiel zeigt, wie knifflig die Grundrente ist

Angenommen, man hat insgesamt 35 Grundrentenjahre erreicht und im Durchschnitt in jedem dieser 35 Jahre 0,35 Entgeltpunkte erarbeitet. Die ursprünglichen 0,35 Punkte werden nun verdoppelt, macht 0,7 Punkte. Da dieser Wert unter 0,8 liegt, wird er nicht weiter gekürzt. Von den 0,35 zusätzlichen Punkten werden 12,5 Prozent (0,0437 Punkte) abgezogen, macht im Ergebnis 0,3063 Entgeltpunkte. Insgesamt hat man dann 0,35 selbst erarbeitete Punkte plus 0,3063 Punkte Aufschlag – macht 0,6563 Entgeltpunkte. Obwohl durch eigene Arbeit nur 0,35 Rentenpunkte pro Jahr erreicht worden sind, wird man durch die Grundrente so gestellt, als hätte man sich 35 Jahre lang jeweils 0,6563 Entgeltpunkte erarbeitet. Ein Entgeltpunkt ist derzeit rund 34 Euro wert (das ist der sogenannte Rentenwert). Mit Grundrente gibt es im Beispiel also 0,6563 Punkte * 35 Jahre * 34 Euro = rund 780 Euro Rente. Ohne Grundrente wären es nur rund 420 Euro.

Was ist bei der Berücksichtigung von Grundrentenzeiten noch wichtig?

Hat man im Erwerbsleben auch Phasen, in denen man weniger als 0,3 Entgeltpunkte im Jahr erzielt, zählen diese Jahre zwar bei den Grundrentenzeiten mit – werden aber für die Höhe der Grundrente nicht berücksichtigt. Den berechneten Zuschlag erhält man grundsätzlich nur für maximal 35 Jahre, auch wenn man etwa 40 oder mehr Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat.

Was kann man tun, wenn Rentenzeiten für die Grundrente fehlen?

Fehlende Grundrentenjahre lassen sich auch durch einen Minijob, bei dem man Rentenbeiträge abführt, sammeln. Dadurch erhöht sich die Grundrente allerdings nicht. Um eine höhere Grundrente zu erhalten, muss man jeweils mindestens 30 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienen, also 0,3 Rentenpunkte erzielen. Dies entspricht derzeit einem Gehalt von rund 1.014 Euro brutto im Monat.

Gibt es eigentlich eine Prüfung von Einkommen und Vermögen?

Einkommen neben der gesetzlichen Rente, beispielsweise aus einer Riester-Rente, einer Betriebsrente, einem Nebenjob oder auch Mieteinnahmen, werden bei der Grundrente angerechnet. Die Grenze liegt bei 1.250 Euro für einen Single und bei 1.950 Euro für Paare: Liegt die bisherige Rente plus das Nebeneinkommen über diesem Wert, wird die Grundrente gekürzt. Eventuelles Vermögen wird allerdings nicht angerechnet: Die eigene Immobilie oder auch Erspartes auf dem Konto reduzieren die Grundrente also nicht!

Wie wirkt sich die Grundrente auf Sozialleistungen wie die Grundsicherung aus?

Auch wenn man beispielsweise Grundsicherung im Alter bezieht, profitiert man von den Neuregelungen. Bislang wurden nämlich die gesamte Rente und jede andere Einnahme komplett auf Sozialleistungen angerechnet. Hat man dagegen mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten erreicht, erhält man nun einen Freibetrag von derzeit 100 Euro, der überhaupt nicht angerechnet wird. Darüber hinausgehende Zahlungen werden nur teilweise angerechnet. Dadurch erhält man als Rentner insgesamt höhere Sozialleistungen als Personen ohne Grundrentenanspruch.

Muss man einen speziellen Antrag stellen?

Nein, der Anspruch auf Grundrente wird von der Deutschen Rentenversicherung Bund ohne Antrag berechnet und gegebenenfalls automatisch mit ausgezahlt.

Wann wird die neue Grundrente erstmals ausgezahlt?

Der Anspruch besteht schon ab dem 1. Januar 2021. Aufgrund der technisch sehr komplizierten Umstellung werden die ersten Grundrenten aber erst ab Sommer 2021 ausgezahlt werden. Und es wird voraussichtlich noch bis Ende 2022 dauern, bis die Umstellung abgeschlossen ist und alle Berechtigten ihre Grundrente erhalten. Selbstverständlich gibt es dann entsprechende Nachzahlungen. Achtung: Auch individuelle Informationen und Beratungen in Sachen Grundrente sind erst ab Juli 2021 möglich.

Silke Becker
Autorin

Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.

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Thomas Hofinger
Chef vom Dienst aktiv

Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.

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