Wiesbaden. Eine kleine Zahl – mit großer Bedeutung für uns alle: die Arbeitsproduktivität. „Ihre Entwicklung ist entscheidend für den Wohlstand eines Landes“, erklärt Peter Kuntze vom Statistischen Bundesamt. Was dem Volkswirt Kopfzerbrechen bereitet: Seit Jahren dümpelt der Produktivitätsanstieg in Deutschland nur knapp über der Nulllinie. Maue Aussichten also für uns? Wie Kuntze sind jedenfalls viele Wirtschaftsexperten alarmiert.

Es ist eigentlich eine Binsenweisheit: Erwirtschaften die Arbeitnehmer eines Landes pro Arbeitsstunde mehr – sind sie also produktiver –, geht es letztlich allen besser. Genau das zeigte sich etwa in den 1960er Jahren: Damals stieg die Produktivität noch um 5 Prozent im Jahresdurchschnitt. Die Wirtschaft wuchs in großen Schritten, die Löhne und Staatseinnahmen ebenso.

Wie sollen weniger Erwerbstätige den Staat am Laufen halten?

Längst vorbei. Von 2016 bis 2020 stieg die sogenannte Stundenproduktivität nur noch um 0,8 Prozent im Jahresschnitt. Dass es vielen anderen Industriestaaten ähnlich geht, ist kein Trost – zumal sich die Lage gerade hierzulande weiter zuzuspitzen droht. Denn im vorigen Jahrzehnt hielt vor allem der Job-Boom die Konjunktur auf Trab. Doch der fällt als Wachstumsmotor bald aus.

Die Fakten dazu: In der Zeit von 2010 bis 2019 war die Zahl der Erwerbstätigen noch um rund vier Millionen gewachsen. Doch bald geht die geburtenstarke Generation der Babyboomer in Rente. Mitte des Jahrzehnts wird das anfangen, mit erhöhtem Tempo in der ersten Hälfte der 2030er Jahre. Im Jahr 2035 werden hier fast fünf Millionen weniger Menschen im Alter von 18 bis 67 Jahren leben.

Wie aber sollen immer weniger Erwerbstätige den Staat denn am Laufen halten? „Entscheidend ist, dass die Produktivität wieder steigt. Und dafür muss die Politik die Wachstumskräfte anschieben“, betont Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Andernfalls werden steigende Staatsausgaben bei schwächerem Wachstum oft nur durch Staatsschulden zu stemmen sein, etwa für den Klimaschutz. Auch die Spielräume für Entgeltanstiege schrumpfen deutlich.

Das wirft die Frage auf: Was eigentlich führte zum Rückgang der Produktivität? Wie kann es sein, dass bahnbrechende Entwicklungen wie Digitalisierung, Biotechnologie und erneuerbare Energien überall für Bewegung sorgen – nur nicht bei den Produktivitäts-Zahlen? Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung benennt in seinem „Nationalen Produktivitätsbericht“ eine Reihe möglicher Bremsschuhe: unter anderem zu wenige Innovationen und Firmengründungen, internationale Handelshemmnisse, marode Verkehrswege, unzureichende Datenleitungen, hohe Lohnkosten.

Die Probleme sind offensichtlich – mögliche Lösungen aber auch

Was zu tun ist, um der Entwicklung Paroli zu bieten, zeigt eine aktuelle IW-Studie. Einige Beispiele daraus: Die Steuern, Sozialabgaben und Energiepreise müssten runter. Denn wenn die Kosten sinken, können die Betriebe mehr investieren – etwa in Fertigungsanlagen, in Forschung und Entwicklung.

Im Berufsleben sind mehr Frauen, Ältere und auch ausländische Fachkräfte gefragt. Eine Bildungsoffensive auf allen Altersebenen würde helfen, die Menschen fit für die Welt von morgen zu machen. Und weniger Bürokratie würde Firmengründungen erleichtern.

Die Zeit zum Handeln drängt. „Noch beherrscht Corona die Schlagzeilen“, sagt IW-Experte Jürgen Matthes. „Trotzdem muss schon jetzt gegengesteuert werden. Sonst werden wir uns bald fragen müssen, ob Deutschland seinen Lebensstandard überhaupt noch halten kann.“

Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

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