Aschaffenburg/Bruchsal. „Oh mein Gott“, ruft die Fahrschülerin im Gabelstapler – und reißt am Lenkrad. Zu spät: Sie hat einen Fußgänger angefahren. Zum Glück nicht in echt, sondern nur virtuell: Die Frau testet bei Linde Material Handling (Linde MH) in Aschaffenburg einen Gabelstapler-Simulator. Der funktioniert wie ein Computerspiel.

Daddeln im Job – wie cool! Tatsächlich haben solche Spiele bei vielen Unternehmen schon einen festen Platz im Arbeitsalltag. Etwa, um Prozesse zu üben oder Kunden zu begeistern. Der Trend heißt „Gamification“: Normale Abläufe werden zum Computerspiel gemacht. Und gerade belegt die Unternehmensberatung Kearney: Das ist nicht nur gut für den Spaßfaktor – sondern auch für die Produktivität!

Bei Linde MH lernen neue Kollegen spielerisch Logistikabläufe kennen

Im Stapler-Simulator zum Beispiel befindet man sich per VR-Brille auf einem virtuellen Lagergelände und muss Aufgaben lösen, um ins nächste Level zu kommen. Entwickelt hat das ein belgisches Unternehmen, das die Gamification in der Industrie weiter verbreiten will. An diesem Tag wird bei Linde MH erst mal nur getestet – andere Games sind hier aber schon laufend im Einsatz: Neue Kollegen in der Intralogistik zocken zum Beispiel „City of Goods“. Bei diesem Spiel geht’s um die faszinierende Welt des Materialumschlags. Es ist ein typisches "serious game" – das spielerisch Lerninhalte vermittelt.

Milliarden-Potenzial allein in der deutschen Auto-Industrie

Die Unternehmensberatung Kearney hat für ihre Studie Gamification-Projekte in der Industrie durchgeführt. Die Arbeitszufriedenheit konnte demnach um bis zu 24 Prozent und die Motivation um bis zu 33 Prozent gesteigert werden, die Produktivität um bis zu 4 Prozent. Allein in der deutschen Autoproduktion seien damit innerhalb von fünf Jahren Einsparungen von 6,5 Milliarden Euro denkbar. Fazit von Thomas Luk, Automotive-Experte bei Kearney: Richtig angewendet, könne Gamification „einen wesentlichen und wachsenden Beitrag zur nachhaltigen Leistungssteigerung und Mitarbeitermotivation leisten“.

Auch virtuelle Kunden-Events werden mit Gamification aufgewertet

Worin die Herausforderung liegt, erklärt Daniel Breitinger vom Digitalverband Bitkom. Die Games müssten sehr zielgenau konzipiert werden, sagt er: „Ist die Aufmachung zu spielerisch, fühlt sich der Spieler nicht ernst genommen.“ Fehle dagegen der Spaß, könne es zu einer hohen Abbruchquote kommen.

Dass Gamification auch virtuelle Events aufwerten kann, zeigt das auf IT-Services spezialisierte Unternehmen Scholderer aus Bruchsal demnächst beim Kongress „ITSM Horizon“: Da ist jeder Teilnehmer als Avatar unterwegs, kann sich in verschiedene Welten teleportieren, etwa zum Beach Club, und mit den anderen Avataren chatten. Das soll die Interaktion fördern. Geschäftsführer Robert Scholderer: „Für den Besucher soll ein einmaliges Erlebnis erzeugt werden.“

Innovationstreiber Games-Branche

Die Computerspiel-Branche ist Vorreiter bei vielen technischen Neuerungen wie Virtual Reality und Künstlicher Intelligenz. Und sie überträgt besonders erfolgreiche Innovationen in andere Branchen – so haben zum Beispiel 3D-Raumplaner oder Visualisierungen von Fahrzeugen ihren Ursprung in Computerspielen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln wurde in Deutschland mit Serious Games im Jahr 2020 ein Umsatz von rund 225 Millionen Euro gemacht, sie haben damit einen Anteil von rund 5 Prozent am gesamten Games-Markt. Mehr Infos und einen internationalen Vergleich gibt’s in der Studie: iwkoeln.de

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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