Essen. Eigentlich sollten wir alle schon seit Januar das E-Rezept nutzen, uns also Medizin in der Apotheke mit einer digitalen Verschreibung abholen. Aber von wegen: Kurz vor Weihnachten zog das Gesundheitsministerium die Notbremse. Die flächendeckende Einführung des E-Rezepts wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, es bleibt erst mal beim Papier-Rezept. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt in Deutschland einfach nicht voran.
Das zeigt auch die elektronische Patientenakte, kurz ePA. In Dänemark etwa ist sie seit Jahren bewährt – hierzulande haben viele Versicherte noch gar nichts davon gehört! Obwohl es die ePA als App für Handy oder Tablet seit Anfang 2021 gibt, hat der Arztbrief per Fax längst noch nicht ausgedient.
Bedenken beim Datenschutz bremsen den Fortschritt aus
„Bislang nutzen die Patienten ihre elektronische Patientenakte leider noch viel zu selten“, weiß Professor Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen. Dabei hätte die ePA bei einer flächendeckenden Verwendung große Vorteile. Krankenversicherte und Ärzte können Dokumente und andere Gesundheitsinformationen ablegen – und einsehen: Statt zum Beispiel nicht mehr zu wissen, was genau beim letzten Belastungs-EKG oder beim großen Blutbild herausgekommen ist, können Mediziner und Krankenhäuser digital auf solche Informationen zugreifen. Das erspart Patienten unnötige Wege, sorgt für einen besseren Überlick – und kann womöglich Wechselwirkungen bei Arzneimitteln verhindern, die verschiedene Ärzte verschreiben.
312.000 Versicherte nutzten schon im Jahr 2021 ihre digitale Akte.
Die Nutzung der digitalen Akte setzt allerdings voraus, dass der Patient die entsprechenden Daten hochgeladen oder dem Upload in der Arztpraxis zugestimmt hat – und natürlich den Zugriff darauf gestattet. Für viele ist das Hochladen ihrer Gesundheitsdaten in eine App noch immer heikel. Unnötig, meint Gesundheitsökonom Augurzky: „Der Versicherte bleibt immer Eigentümer seiner Daten und bestimmt, wer etwa ein Röntgenbild sehen darf.“
Eine Umfrage der Nationalen Agentur für Digitale Medizin Gematik bestätigt die allgemeine Zurückhaltung: Lediglich ein Fünftel aller gesetzlich Versicherten hat bereits von der ePA gehört. Und nur 312.000 Menschen nutzen die Anwendung – von über 73 Millionen gesetzlich Versicherten!
Die digitale Patientenakte kann inzwischen noch mehr
Nicht viel besser schaut die Situation bei den Ärzten aus. Erst 30 Prozent der Praxen, 11 Prozent der Krankenhäuser und 7 Prozent der Apotheken haben bisher laut Gematik das Modul installiert, das notwendig ist, um die ePA zu nutzen. Kein Wunder, dass die rot-gelb-grüne Bundesregierung die E-Gesundheit auf ihrer To-do-Liste hat und Änderungen plant. So bekommt die ePA bisher nur, wer das bei seiner Krankenkasse beantragt. In Zukunft sollen Versicherte automatisch eine digitale Patientenakte erhalten (falls sie nicht widersprechen). „Ich plädiere unbedingt für diese Lösung“, sagt Augurzky. Er sei sicher, dass dann viel mehr Menschen die App nutzen würden.
Zum Jahreswechsel hat die ePA übrigens neue nützliche Features bekommen. Die Patienten können jetzt im Einzelfall entscheiden, welcher Arzt auf welches Dokument zugreifen darf. Außerdem lassen sich zum Beispiel auch der Impfausweis und das Zahnbonus-Heft in der ePA speichern. Vielleicht kommen die Praxen ja doch irgendwann ohne Faxe aus …
Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald.
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