Köln. Weniger Arbeitszeit für den gleichen Lohn – das strebt die IG Metall offenbar für die Stahlbranche an, in der Ende des Jahres eine Tarifrunde ansteht. Auch deswegen ist der Begriff „Vier-Tage-Woche“ derzeit wieder oft zu hören. Worum geht es in der Debatte, wie ist das einzuordnen? aktiv sprach darüber mit Holger Schäfer, er ist Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft.
Herr Schäfer, Vier-Tage-Woche für alle – wäre das vielleicht eine gute Idee?
Auf diese Frage kann man aus ökonomischer Sicht ganz klar „nein“ antworten. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, genügt es, drei Punkte zu erkennen.
Nämlich welche? Was spricht gegen die Vier-Tage-Woche?
Erstens: Viele Beschäftigte haben schon längst Stellen mit einer Arbeitszeit von weniger als fünf Tagen. Jeder verhandelt das individuell, das ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es gibt infolgedessen auch zahllose unterschiedliche Arbeitszeitmodelle in den Betrieben, gerade auch in der Industrie. Und es gibt da sogar auch einen Rechtsanspruch. Wer weniger arbeiten will, kann das also zügig erreichen – aber natürlich bei entsprechend weniger Lohn.
In der aktuellen Debatte um die Vier-Tage-Woche geht es aber nicht um mögliche Teilzeit, sondern um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
Ja, und damit sind wir schon bei zweitens: Wer soll das denn bitte bezahlen? Das kann weder gesamtwirtschaftlich klappen noch im einzelnen Betrieb.
Könnte es nicht sein, dass wir in der Vier-Tage-Woche viel produktiver arbeiten? Eine Studie aus England hat doch so etwas angedeutet.
Diese Studie wird oft zitiert, hat aber einen methodischen Haken: Es waren nur rund 60 Firmen dabei und nur solche, die sich für den Versuch beworben haben. Also Betriebe, die vermutet haben, dass das bei ihnen ganz gut klappen könnte. Tatsächlich waren die Arbeitnehmer dann auch zufriedener als vorher. Aber es sind leider keine Daten erhoben worden, mit denen man die Veränderung der Produktivität beurteilen könnte, es wurde lediglich nach dem Umsatz gefragt.
Lassen Sie uns das mit der Produktivität mal grob überschlagen. Wenn man die Arbeitszeit von fünf auf vier Tage reduziert, aber das gleiche Pensum schaffen soll wie vorher – dann müsste die Leistung im Schnitt an jedem einzelnen Arbeitstag um ein Viertel steigen.
„Es ist nicht vorstellbar, dass alle 25 Prozent produktiver arbeiten“
Holger Schäfer, Institut der deutschen Wirtschaft
Genau. In vielen Berufen ist das ja schon ganz offensichtlich unmöglich – etwa in der Pflege oder in der Kinderbetreuung. Was Bürojobs betrifft: Würde da jeder die Arbeit, die bisher an fünf Tagen erledigt wird, auch an vier Tagen schaffen – ohne Qualitätsverlust? Das halte ich für extrem unwahrscheinlich.
Und in der Industrie?
Gerade da ist die Vorstellung völlig absurd, es gäbe irgendwo noch eine Produktivitätsreserve in einer Größenordnung von 25 Prozent. Denn das würde ja bedeuten: Die Unternehmen waren bisher zu doof, diesen schlummernden Schatz zu heben. Nun ist aber gerade die deutsche Industrie ziemlich gut darin, immer noch effizienter zu werden, um Standort-Nachteile etwa bei den Energiekosten auszugleichen. Sonst hätten die Unternehmen auf dem Weltmarkt nicht so eine starke Stellung.
So weit verstanden. Sie hatten aber noch einen dritten Punkt in der Diskussion um die Vier-Tage-Woche?
Ja, und da geht es um einen ganz anderen Blickwinkel. Als früher über Arbeitszeitverkürzung geredet wurde, hatten wir hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland – es ging auch darum, die Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen. Jetzt haben wir wegen der demografischen Entwicklung das gegenteilige Problem! Wir haben schon jetzt zu wenig Leute für die vorhandene Arbeit.
Tatsächlich ist in fast jedem Industriebetrieb, den aktiv für eine Reportage besucht, der Fachkräftemangel ein großes Thema.
Das wird leider in den nächsten zehn Jahren noch schlimmer, weil ab sofort die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Und da kann die Lösung ja nicht sein, das wir alle weniger arbeiten! Im Gegenteil: Wir müssten eigentlich alle mehr arbeiten, um unser Wohlstandsniveau zu erhalten.
Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.
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