Stuttgart. Kein Navi, keine Wetter-App, kein Satellitenfernsehen – so sähe unser Alltag ohne die Raumfahrt aus. Und die ist in Baden-Württemberg besonders stark: Hier arbeiten 40 Prozent aller Raumfahrt-Beschäftigten in Deutschland. Umsatz jährlich: rund 4,8 Milliarden Euro. Und der Markt wächst, angetrieben auch von „New Space“, also der kommerziellen Raumfahrt, etwa von Google oder Starlink. Aufgrund ihrer Ausstrahlung auf andere Wirtschaftszweige sei die Luft- und Raumfahrt-Industrie ein wichtiger Technologieschrittmacher für Baden-Württemberg, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Durchschnittlich 17,5 Prozent des Umsatzes investieren die Unternehmen in Forschung und Entwicklung – mehr als in anderen Branchen. Viele sind Weltmarktführer. Unsere Beispiele zeigen, wo sie überall trumpfen.
Wo werden Raketen-Triebwerke getestet?
Ein wichtiger Partner der europäischen Raumfahrt-Industrie ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Standort Lampoldshausen mit etwa 340 Mitarbeitern. Fast alles dreht sich hier um Prüfstände, mit denen die Triebwerke von Raketen getestet werden.
Derzeit laufen hier Tests für die neue Ariane-6-Oberstufe, die Ende 2023 erstmals für die Europäische Weltraumorganisation ESA ins All starten soll. Sie hat beim Start eine Schubkraft von 15.000 Kilo-Newton. Das entspricht ungefähr der Gewichtskraft von 1.500 Tonnen. aktiv durfte am Prüfstand hinter die Kulissen blicken und traf die Leiterin der Versuchsanlagen, Anja Frank. Hier geht’s zum Video:
Wann landen wir wieder auf dem Mond?
Schon 2025, wenn alles klappt! Dafür sorgt das „Artemis“-Programm der US-Regierung. Mit dabei sind zum Beispiel: Bauteile für Steuerventile vom Unternehmen Witzenmann aus Pforzheim. Sie sind wichtig für die Treibstoffversorgung eines zentralen Moduls der Raumkapsel Orion (Foto links) – das „europäische Servicemodul“. Das wurde übrigens unter der Regie des Unternehmens Airbus in Bremen gebaut, mit vielen deutschen Lieferanten.
Schon mal vorgeschickt zum Mond wurden die Strahlungsmesspuppen Helga und Zohar – sie umkreisten in der Raumkapsel Orion etwa einen halben Monat lang den Mond und kehrten jetzt zurück.
Wie kommen Raketen zum Start?
Achtung, empfindliche Ladung! Wenn Satelliten, Tragwerke oder andere sehr wertvolle Bauteile von Raketen transportiert werden, wie hier in den USA, schafft oft ein Spezialunternehmen aus Baden-Württemberg die Grundlage dafür: TII Kamag aus Ulm. Dessen Spezial-Transportfahrzeuge manövrieren die sperrigen Teile millimetergenau an ihre Startposition.
Sogar das komplette Spaceshuttle Endeavour der US-Raumfahrtorganisation Nasa (inzwischen ein Museumsstück) wurde mit einem Kamag-Fahrzeug transportiert! Das Unternehmen baut auch Sonderfahrzeuge für viele andere Einsatzbereiche, egal ob Schiffscontainer oder Güterwaggons bewegt werden müssen – oder etwas ganz anderes.
Wer baut all die Satelliten?
Ob fürs Navi oder die Wettervorhersage: Mehrere Tausend Satelliten befinden sich inzwischen im Weltall. Viele von ihnen stammen von Airbus aus Friedrichshafen. Dort betreibt das Unternehmen Europas modernstes Satelliten-Integrations- und Raumfahrt-Technikzentrum. Auf 4.000 Quadratmetern werden die fortschrittlichsten Satelliten und Raumfahrt-Technologien entwickelt und gebaut.
Zuletzt zum Beispiel der Erdbeobachtungssatellit „EarthCARE“, der 2,3 Tonnen wiegt (Foto oben). Derzeit wird der Hightech-Gigant bei der europäischen Weltraumorganisation ESA noch auf Herz und Nieren getestet, bevor er die Rolle von Wolken für unser Klima genau untersucht – damit werden Klimavorhersagen künftig noch besser.
Wie kommen Daten aus dem All zu uns?
Fernsehen, Wettervorhersagen und vieles mehr gelangt in unsere Wohnzimmer und auf unsere Smartphones dank der Kommunikationsmodule von Tesat-Spacecom in Backnang. Der TV-Satellit Hotbird 13F zum Beispiel überträgt aus circa 36.000 Kilometer Entfernung Programme von rund 1.000 TV-Sendern in Europa, Afrika und dem Mittleren Osten. Mikrowellenleistungsmodule von Tesat verstärken das Signal, damit es die Distanz bewältigen kann.
Und Laserkommunkationsterminals (LCT) von Tesat sitzen zum Beispiel auf Sentinel-Satelliten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Die Satelliten sammeln Daten für Klima- und Katastrophenschutz oder für den Schutz unserer Infrastruktur. Die LCT übertragen die Bilddateien an die Satelliten des Europäischen Datenrelaissystems EDRS. Per Radiowellen werden die Daten dann von dort aus zur Erde geschickt.
Was macht Raketen stabil genug?
Der Start und der Flug durchs All setzen Raketen extremen Bedingungen aus. Deshalb ist selbst das winzigste Leck oder der feinste Riss ein absolutes No-Go. Laser von Trumpf aus Ditzingen können Raketentankbauteile oder Raketentriebwerke exakt und sicher verschweißen.
Schubdüsen für Satelliten, Trägerraketen und Landefähren lassen sich per 3-D-Druck so fertigen, dass möglichst viel Gewicht und auch Kosten gespart werden. Trumpf stellt dafür die Drucker her.
Das Ditzinger Unternehmen ist außerdem Partner in einem Forschungsprojekt für die Entwicklung von Minilasern für spezielle Sensoren. Diese Sensoren sollen bald die Lage von Satelliten messen, damit sie in Netzwerken immer exakt aufeinander ausgerichtet sind.
Wie erforschen Wissenschaftler das All?
Aufschluss darüber, wie Sterne entstehen und wie sich Galaxien bilden, geben die atemberaubenden Bilder, die das Weltraumteleskop James Webb aus 1,5 Millionen Kilometern Entfernung liefert.
Gemacht werden die Aufnahmen mithilfe von sehr speziellen optischen Instrumenten, die Hensoldt Optronics aus Oberkochen mitentwickelt hat. Sie fangen Licht aus dem nahen und mittleren Infrarotspektrum ein, das so für das menschliche Auge erst sichtbar gemacht wird.
James Webb sammelt damit beispielsweise spektrale Daten über die „Säulen der Schöpfung“, bizarre Gas- und Staubformationen, in denen sich laufend neue Sterne bilden – 6.500 Lichtjahre von uns entfernt.
Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.
Alle Beiträge der AutorinAls Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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