München. Ich sehe was, was du nicht siehst … Es klingt wie ein Kinderspiel, ist aber eine vielversprechende Zukunftstechnologie: Extended Reality (XR; deutsch: erweiterte Realität). Der Begriff umfasst alle Technologien, die die reale und die virtuelle Welt miteinander verbinden. Und das schafft enorme Möglichkeiten für unterschiedlichste Branchen.

Wie weit der Stand der Technologie in Bayern ist und wofür bayerische Firmen Extended-Reality-Anwendungen heute schon nutzen, darüber informierte eine Kooperationsveranstaltung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) mit dem Bayerischen Digitalministerium und XR Bavaria in München – quasi in der „deutschen XR-Hauptstadt“. Denn Münchner Erfinder halten die deutschlandweit meisten Patente in dieser Querschnittstechnologie.

 

Wie groß das Potenzial von XR ist, zeigt ein Blick auf die Patententwicklung: Von 2015 bis 2021 hat sich die Anzahl der Patente weltweit vervierfacht. Zwei Drittel der Patente kommen aus China und den USA, mit weitem Abstand folgt Südkorea. Deutschland belegt Platz 6 – Bayern käme als eigenes Land immerhin auf Platz 13 der Rangliste.

Den Nutzen der Technologie haben im Lauf der Zeit immer mehr Branchen entdeckt. Anfangs gingen die meisten Erfindungen auf das Konto der Games-Branche, damit Nutzer in Computer- und Videospielen in fremde, virtuelle Welten tauchen können. Nun holen Medizintechnik und Mobilität auf, aber auch bei interaktivem Lernen oder digitaler Landwirtschaft ist Bewegung. Doch Überschneidungen sind groß: Auch für „ernste“ Themen sind etwa Elemente aus Spielen gut geeignet, wie die Firma Magic Horizons zeigte. Der Betrieb aus Neufahrn bei München macht Naturwelten für VR-Brillen erlebbar. Echte Orte werden mit 360-Grad-Kamera gefilmt, der Anwender taucht in diese Welt ein. Das beruhigt und entspannt etwa Patienten beim Zahnarzt – die Angst vor dem Bohrer schwindet.

Wichtigste Patentinhaber der Industrie sind in Bayern Audi und Siemens, mit Abstand folgt BMW. Andere sind eher zögerlich – was auch daran liegt, dass der Nutzen der Technologie vielen nach wie vor nicht klar ist.

Für vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt steht fest, dass mehr aufgeklärt werden muss. „Wir müssen die XR-Branche weiter gezielt fördern, gerade auch mit Blick auf industrielle Anwendungen“, betonte er. Dies erfordere auch einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, eine starke digitale Infrastruktur sowie gute Bedingungen für Start-ups und IT-Fachkräfte, damit diese nicht abwandern.

Was mit Extended Reality alles möglich ist, zeigen wir Ihnen anhand der folgenden Beispiele:

Virtual Industries: Macht Spaß und lockt Besucher an den Messestand

Eckkneipe 4.0: Der virtuelle Tischkicker ist das populärste Produkt von Virtual Industries. Als Nutzer hat man das Gefühl, in einem riesigen Stadion zu stehen, das in der Luft schwebt! Eine virtuelle Achterbahnfahrt, Spaziergänge auf Wolkenkratzern und noch mehr immersive Spektakel hat die Eventagentur aus München im Angebot.

Im virtuellen Showroom können Firmen ihre komplette Produktpalette auf einer nur ein mal ein Meter großen Fläche präsentieren. Das ist für Umstehende lustig zum Zuschauen und ein Besuchermagnet auf Messen.

Im VR-Chat lässt sich ganz ernsthaft und trotzdem abwechslungsreich mit der Technik arbeiten. Hereinspaziert ins virtuelle Büro! Dort kann man mit Kollegen quatschen. Das Aussehen der eigenen Person im virtuellen Raum (Avatar) wählt man selbst.

VR Direct: Bringt VR in viele Firmen

„Virtual Reality ist fit für den Alltagsgebrauch“, ist das Credo von VR Direct. Der Softwareanbieter unterstützt Unternehmen dabei, eigene VR-Anwendungen zu entwickeln. Am Anfang stehen meist Bilder oder 360-Grad-Videos, die Betriebe selber oder mit Unterstützung drehen können.

Mit Werkrundgang in virtueller Form finden sich Mitarbeitende schnell an ihrem neuen Arbeitsplatz zurecht.

Hoher Lerneffekt: In Ausbildung und Schulungen lassen sich die Formate besonders gut nutzen. Techniker im Außendienst haben damit überall verfügbare schnelle Hilfe. Und neuen Kunden werden Produkte einer Firma anschaulich präsentiert, ohne räumliche Grenzen.

EOS: Macht Mitarbeiter mit virtuellen Lernreisen zu Experten

Klingt logisch: Ein 3-D-Drucker erzeugt plastische Gegenstände – also lässt sich seine Bedienung ebenso auf dreidimensionale Art erlernen. Das Unternehmen EOS bildet Mitarbeitende mit einer virtuellen Lernreise zu Additiv-Manufacturing-Experten aus. Erweiterte Realität macht die Geräte leichter begreifbar, auch dank eingeblendeter Tipps in der Datenbrille.

Blockaden beim Lernen werden so gelöst. Im besten Fall merkt der Lernende nicht mal, dass er sich gerade komplexes technisches Wissen aneignet. Das funktioniert verblüffend gut.

Für Werkabnahmen setzt EOS die Technik ebenfalls ein. Per Livestream wird der Kunde zugeschaltet, nimmt über eine AR-Brille am Geschehen teil.

Auch Messebesucher und Studierende können virtuell mehr über Aufbau, Handhabung und Können der 3-D-Drucker erfahren, ohne dass sie eine echte Maschine vor sich haben müssen

Northdocks: Die Feuerwehr kann üben, bis jeder Handgriff sitzt

Feuerwehrleute können mit VR gefahrlos üben, so oft und wo sie wollen. Northdocks überträgt Anlagen, Fahrzeuge und Equipment der Einsatzkräfte in die virtuelle Welt.

Werkfeuerwehren trainieren mit der Anwendung. Geht beim Löschen was schief, drückt man einfach „Reset“ und beginnt von vorn.

Schlauch trocknen entfällt: Langes Aufräumen ist nach der Übung nicht nötig.

Goodly Innovations: Sorgt für fehlerfreie Herstellung von Medikamenten

Bei der Produktion, Abfüllung und Verpackung von Medikamenten sind sehr viel manuelle Arbeitsschritte nötig. Schiefgehen darf da nichts, denn kleine Fehler können zu großen Problemen führen. Goodly Innovations aus München digitalisiert die Prozesse und führt Teams mit einer AR Software durch die Arbeitsschritte. Dies geschieht mit Hologrammen. Sie zeigen an, was wo zu tun ist, etwa wo ein bestimmtes Teil eingebaut werden muss.

Neue Mitarbeiter haben es dadurch leichter und sind schneller fit für den Job. Die unterstützenden Informationen in der Datenbrille geben Sicherheit, das vermindert Stress bei neu zu erlernenden Tätigkeiten.

Die Umrüstzeit von Anlagen verkürzt sich durch die Hilfen.

Die Dokumentation wird mittels Augmented Reality ebenfalls unterstützt. Jeder Schritt der Fertigung lässt sich aufzeichnen und zurückverfolgen.

Leibniz-Rechenzentrum: Erforscht das Klima und den Körper des Menschen

Das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching beschäftigt sich mit virtuellen Welten. Das Zentrum für Virtuelle Realität und Visualisierung stellt Hardware, Software und Rechenleistung bereit. So entstanden digitale Räume für die Forschung und, als Treffpunkt in der Pandemie, auch ein virtueller Biergarten.

Klimaszenarien für Bayern werden in einem Projekt mit Wissenschaftlern aus Kanada mittels virtueller Realität simuliert und untersucht.

„Virtual Human“ nennt sich ein Projekt, dessen Ziel ein komplettes Abbild, also ein digitaler Zwilling, des menschlichen Körpers ist. Schon die Visualisierung des Blutflusses im Unterarm generiert riesige Datenmengen.

CDM Tech: Hilft bei der Qualitätssicherung in der Industrie

Das spart Zeit: Statt Ausdrucken auf Papier nutzt CDM Tech erweiterte Realität für den Abgleich zwischen Modell und fertigem Bauteil, etwa im Automobil- und Maschinenbau.

Der Ist-Soll-Vergleich in Echtzeit zeigt selbst kleinste Abweichungen an und färbt die Stelle am Bildschirm ein. Das erleichtert die Kommunikation mit den Konstrukteuren, der Fehler kann schnell behoben werden.

Per Fingertipp lassen sich auf der digitalen Aufnahme am Tablet Notizen setzen und speichern, als ob man das untersuchte Bauteil mit einem Edding beschriftet hätte.

Was bedeutet Extended Reality?

Extended Reality (XR) ist der Oberbegriff, der alle Technologien umfasst, die computergenerierte Umgebungen oder Objekte erstellen.

Virtual Reality (VR) lässt den Nutzer vollständig in eine computergenerierte Welt eintauchen, die Realität ist dabei ausgeblendet.

Augmented Reality (AR) erweitert die "echte" Welt um digitale Inhalte, zum Beispiel eingeblendete Objekte, Schrift und mehr.

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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Friederike Storz
aktiv-Redakteurin

Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

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