Hamburg. 4,3 Millionen Dollar! So viel Geld zahlte kürzlich die New Yorker Immobilienfirma Republic Realm – für ein Grundstück, das es gar nicht gibt. Zumindest nicht in echt. Sondern nur digital – in der virtuellen Computerwelt „The Sandbox“. Dort loggen sich User ein, um Spiele zu zocken oder per Avatar durch die Gegend zu gondeln. Das Stück Pixel-Land soll nun entwickelt und mit virtuellen Einkaufszentren und anderen Immobilien „bebaut“ werden.

Millionen für ein „Grundstück“, das nie ein Fuß aus Fleisch und Blut betreten wird – man könnte das für total irre halten, für die Folge von zu viel Koks vielleicht. Wahrscheinlich aber ist es eher: eine verdammt gute Investition.

Denn dort, in diesen virtuellen Computerwelten, erwarten Experten das nächste dicke Digitalisierungs-Ding, revolutionärer noch als das Internet.

Das Metaversum.

Ein digitales Paralleluniversum, in dem unser reales Leben mit virtueller Realität zu einer Cyberwelt verschmilzt. „Das Metaversum wird ein beständiger, dauerhafter virtueller Kosmos, der neben unserer realen Welt existiert“, so definiert es Professor Frank Steinicke, Leiter der Forschungsgruppe Human-Computer-Interaktion an der Uni Hamburg, im Videocall mit aktiv. Mittels VR-Brille, so glaubt der Forscher, werden wir bald in diese Welt eintauchen wollen.

Um dort zu spielen, zu arbeiten, zu leben, uns zu treffen, virtuell am Unterricht teilzunehmen, Sport zu treiben, einzukaufen. Und es wird sich echt anfühlen: Alles ist in 3-D. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Das Metaversum könnte unser Leben verändern. Und: Es hat schon angefangen! Wow!

Die Tech-Branche jedenfalls wittert längst ein gigantisches Geschäft. Egal ob Google, Apple, Sony, Tencent, Microsoft – alle großen Spielehersteller, Online-Dienste und sozialen Netzwerke stehen längst an der Startline.

Mark Zuckerberg benennt Facebook in Meta um

Spätestens seit Facebook-Chef Mark Zuckerberg gleich seinen ganzen Weltkonzern passend in „Meta“ umbenannt hat, ist klar, mit wie viel Entschlossenheit die Firmen das Internet zum Metaverse aufbohren wollen. 10.000 Stellen will Zuckerberg allein in Europa schaffen – sie alle sollen helfen, die Vision einer allumfassenden VR-Welt Wirklichkeit werden zu lassen.

Es geht dabei um Milliarden Nutzer – und einen gigantischen Markt. So traut die US-Analysefirma Bloomberg Intelligence dem gesamten Metaverse-Markt schon 2024 ein Umsatzvolumen von bis zu 800 Milliarden Dollar pro Jahr zu. Für Hard- und Software, Werbung in Social Media, Live-Entertainment, Gaming.

Noch erschließt sich die Faszination nicht jedem. So fragten Analysten der US-Großbank Morgan Stanley unlängst hämisch, „welches Problem das Metaversum für Hunderte Millionen Menschen lösen soll?“ Einkaufen, zocken und streamen könne man ja auch im heutigen Internet schon. Und auch das stimmt: Bereits Anfang des Jahrtausends gab es mit „Second Life“ eine gehypte virtuelle Gegenwelt, bis der Boom plötzlich verpuffte.

Forscher Steinicke aber sieht einen entscheidenden Unterschied. „Es fühlt sich jetzt einfach echt an!“ Während man im Internet, so wie wir es heute kennen, lediglich auf einen Bildschirm starre, tauche man ins Metaversum regelrecht ein. „Immersion“ nennen das die Fachleute. „Im Metaversum hat der Nutzer das Gefühl, mit anderen Nutzern im selben Raum zu sein.“

Roblox, Fortnite, Minecraft – kleinere Metaversen gibt es jetzt schon

Steinicke weiß, wovon er da spricht: Regelmäßig trifft er sich mit gut 20 seiner Doktoranden per VR-Brille zu virtuellen Meetings. „Man sieht Mimik und Körpersprache, auch wenn es ein Avatar ist, den man da bewegt.“ Dabei ist Kommunikation in 3-D längst mehr als ein Laborexperiment für Freaks. Entsprechende Anwendungen wie „Horizon Workrooms“ sind bereits auf dem Markt. Und schon bald soll auch das beliebte Kommunikationstool „Teams“ von Microsoft über Avatare verfügen.

Und überhaupt: Eigentlich hat diese ganze Paralleluniversum-Sache längst begonnen. Zwar exisitiert noch nicht das eine, allumfassende Metaversum. Aber dafür viele kleinere. So treffen sich Millionen Gamer in Spielen wie Roblox, Minecraft oder Fortnite. Nicht nur zum Zocken – auch zum Freundetreffen, auf einen virtuellen Kaffee. Es gibt eigene Währungen, Wirtschaftssysteme, Jobs, die man nur in dieser Welt ausübt, selbst Geburtstage kann man dort feiern.

Oder sich einfach unterhalten lassen: Zwölf Millionen Fans verfolgten in Fortnite einen Auftritt des Rappers Travis Scott. Nach einem ähnlichen Auftritt von Ariana Grande in der virtuellen Welt rissen sich Fans anschließend um das Outfit der Sängerin. Um es ihren Avataren anziehen zu können. Und längst machen Luxus-Läden wie Gucci und Co. handfeste Millionen-Umsätze mit rein virtuellen Handtaschen, Sonnenbrillen und anderen digitalen Accessoires.

VR-Brillen, so klein wie Kontaktlinsen

Das mag man belächeln. Doch gleichfalls längst Realität sind virtuelle Abbilder von Produkten und ganzen Fabriken in der Industrie, sogenannte digitale Zwillinge. Und auch in der Medizin finden digitale Simulationen mit VR-Brillen zunehmend Verbreitung.

Noch hat die Technik dabei ihren Peak nicht erreicht. Derzeit sind VR-Brillen nicht besonders weit verbreitet und vergleichsweise klobig. Und woher die ganze Rechnerleistung und Speicherkapazität kommen soll, um einmal größere Teile der Menschheit in einer Digitalwelt zu vereinen, weiß auch noch niemand so recht. Dennoch: „Irgendwann wird diese Technologie so groß sein wie eine Kontaktlinse“, glaubt Top-Forscher Steinicke.

Das Ergebnis werde dann eine „hybride Welt, in der sich das, was wir noch als real kennengelernt haben, mit der virtuellen Computerwelt so vermischt, dass es unsere neue Realität sein wird“.

Mit unbegrenzten Möglichkeiten. „Es werden Welten sein, in denen man Dinge tun kann, die man sonst eben nicht kann. Fliegen. Teleportieren. Mit Menschen sprechen, mit denen ich sonst nicht in Kontakt kommen kann.“

Spooky? Schon. Aber keine Utopie. „Diese Technologie wird kommen“, ist auch Professor Stephan de la Rosa, Wirtschaftspsychologe aus Augsburg, überzeugt. Wie perfekt die Illusion ist, erzählt er anhand eines Experiments in seinem Labor. Unlängst war dafür eine Schulklasse zu Gast. Die Schüler sollten über eine Holzplanke auf dem Fußboden laufen. Anschließend bekamen sie VR-Brillen verpasst, „plötzlich lag die Planke über einer Straßenschlucht zwischen zwei Hochhäusern“. Ergebnis: Die Schüler balancierten ängstlich über den simulierten Abgrund, „obwohl sie wussten, dass er nicht real ist“.

Einsatzmöglichkeiten bis hin zur Psychotherapie

Wie kann das sein? „Das Metaversum ist eine Empathie-Maschine, die menschliche Emotionen verstärkt“, sagt de la Rosa. Das berge zwar Gefahren, auch Suchtpotenzial. „Aber auch ungeheure Möglichkeiten, in der Psychotherapie wird es bereits gegen Angststörungen eingesetzt.“ Am Ende, glaubt de la Rosa, würden sich ungeahnte Möglichkeiten und Verbesserungen für den Menschen ergeben. „Wenn wir diese Technik so ausgestalten, dass sie unserer Spezies zuträglich ist. Dann wird sie akzeptiert werden.“

Und wann ist es so weit? Der Hamburger Forscher Frank Steinicke erwartet den großen Durchbruch in den nächsten fünf Jahren. „In 10, vielleicht 15 Jahren könnten Datenbrillen dann sogar das Smartphone ersetzen“, glaubt er. Das dürfte dann noch mehr Menschen fürs Metaverse begeistern.

Dann zur Freude aller, die früh dabei waren. Wie Republic Realm – der Immobilienfirma mit dem virtuellen Sandbox-Grundstück. Gründerin Janine Yorio jedenfalls glaubt: „In digitale Grundstücke zu investieren, ist wie Landerwerb in Manhattan, als dort noch nichts anderes war als bloß Wald!“ Anders gesagt: eine Mega-Chance.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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