Hannover. Das Gespräch mit Beschäftigten ist Klaus Kirchheim wichtig. Ob am Stehtisch in der Produktion, an der Kaffeetheke auf dem Büroflur oder draußen vor dem repräsentativen Firmengebäude. Beim Besuch von aktiv plaudert der Chef der nass magnet GmbH gerade auf dem Besucherparkplatz mit Mitarbeitern. Der 1,90-Meter-Mann ist locker gekleidet. Wer ihn nicht kennt, würde ihn in der Gruppe nicht als Chef des 760-Mitarbeiter-Betriebs identifizieren. Typisch Familienunternehmen: „Unsere Unternehmenskultur ist unser Erfolgsrezept“, sagt Kirchheim über seine Firma.
Die nass magnet GmbH produziert elektromagnetische Ventile, die elektrische Signale in eine Öffnungs- oder Schließbewegung umwandeln. Die Kundschaft kommt traditionell aus der Fahrzeug-Industrie: Wenn etwa eine Bustür beim Öffnen zischt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein nass-Ventil am Werke ist.
Magnetventile für die Beatmung von Corona-Kranken und zur Dialyse
Wie viele andere Unternehmen bekam nass magnet 2022 Probleme mit seiner Lieferkette. Die Zulieferungen für Pkws und Nutzfahrzeuge lagen zwischenzeitlich fast völlig brach. Inzwischen ist die Produktion wieder hochgefahren. Auch weil nass magnet ganz verschiedene Branchen beliefert.
Einen „regelrechten Boom“ etwa verzeichnete das Unternehmen in der Medizintechnik. „Wir sind einer der wenigen Hersteller von Ventilen für Beatmungsgeräte – und die brauchte in der Corona-Krise quasi jeder“, berichtet Kirchheim. Das Auftragsvolumen bei diesen Produkten habe sich „locker verdoppelt“. Auch für Dialysegeräte und Inkubatoren zur Versorgung von Frühgeborenen produziert nass magnet Ventile.
Die Krisen der vergangenen Jahre haben den Firmeninhaber nicht aus der Ruhe gebracht. Schließlich hat das Unternehmen schon viele Stürme überstanden. Gegründet wurde die Unternehmensgruppe vor fast 100 Jahren von seinem Urgroßvater. Heute führt Kirchheim den Familienbetrieb in vierter Generation. Dabei entdeckte der 64-Jährige die Lust aufs Unternehmersein spät: Er studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaft, fuhr internationale Ski-Meisterschaften und stieg erst ins Unternehmen ein, als es sich zur Jahrtausendwende in einer schweren Krise befand. Damals kündigte Kirchheim als Manager im Mannesmann-Konzern und wechselte nach Hannover.
Dort stellte Kirchheim erst mal einiges um. „Als ich einstieg, waren unsere jüngsten Produkte 30 Jahre alt!“, erinnert er sich. Der Unternehmer engagierte neue Ingenieure, die die Entwicklung umkrempelten. Und er suchte neue Abnehmergruppen für die alte Technik.
„Wer Leistung will, muss als Unternehmen auch Sinn bieten.“
Klaus Kirchheim, Geschäftsführer
Mit Erfolg: Neben der Automobil- und Nutzfahrzeug-Industrie gehört inzwischen auch die Agrartechnik zu den wichtigen Kunden von nass magnet. Die Ventile der Firma werden heute etwa in Melkmaschinen und Sprühanlagen für Pflanzenschutzmittel verbaut. „Landmaschinenhersteller sind hochinnovativ und weit vorn, wenn es um die Technik der Zukunft geht“, sagt Kirchheim.
Er war auch einer der Ersten, der Schüler ins Unternehmen holte: Seit Jahren wird ihnen bei nass magnet Lust auf Technik gemacht. Was die jungen Leute im Betrieb beeindruckt? Zum Beispiel, dass Azubis auch mal zu den Tochterunternehmen in die USA oder nach Ungarn reisen. Und dass nass magnet den Auszubildenden in der aktuellen Krise mehr Geld zahlt, weil die Spritkosten so explodiert sind.
Fachkräftemangel: Den Talenten von morgen muss man mehr bieten als Geld
nass magnet gehe es nicht um den schnellen Erfolg, versichert Kirchheim. Vielmehr strebe das Unternehmen eine langfristige Zusammenarbeit an: mit Kunden ebenso wie mit Beschäftigten. Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Qualität – das sind für ihn die Grundwerte im Betrieb. Hinzu kommt ein immer größerer Fokus auf Nachhaltigkeit. Immer mehr spüre auch er, dass junge Leute mehr wollen als nur einen Job, sagt Kirchheim: „Wer Leistung will, muss als Unternehmen auch Sinn bieten.“
Der Fachkräftemangel ist für Familienunternehmen aktuell die größte Herausforderung. Deshalb engagiert sich Kirchheim auch im Kuratorium der Stiftung NiedersachsenMetall, die sich um Bildungsthemen kümmert, und im Aufsichtsrat der IdeenExpo. Man müsse sich frühzeitig um die Talente von morgen bemühen, sagt er. Gerade als Mittelständler, der nicht dieselben Löhne zahlen könne wie Konzerne.
Auch bei seiner Nachfolge in der Geschäftsführung hat Klaus Kirchheim die Zukunft fest im Blick. Seine Tochter ist bereits mit einigen Projekten ins Unternehmen integriert. Der Sohn ist nach dem Studium zunächst zum Autozulieferer Continental gegangen. Der Unternehmer zwinkert und sagt: „Mal sehen, ob wir ihn irgendwann von uns begeistern können.“
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
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