Die Betriebe der Textil- und Bekleidungsbranche sehen erneut auf ein schwieriges Jahr zurück. Wie sehr hohe Energiepreise die Produktion verteuern und wie ausufernde Bürokratie die Unternehmen lähmt, darüber sprach aktiv mit Uwe Mazura. Er ist Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie (t+m).
Herr Mazura, wie wird die Branche am Ende des Jahres wohl auf 2023 schauen? War es ein besonders schlechtes Jahr?
Eine einfache Einteilung in „gut“ und „schlecht“ gelingt da schon seit Längerem nicht mehr. Klar gibt es viele Unternehmen, die mit großartigen Produkten und ihrer Bekanntheit am Markt 2023 mit Erfolg abschließen werden. Aber insgesamt ist die Stimmung der Branche stark angespannt, teilweise sogar frustriert. Die unterschiedlichen, sozusagen aufgestapelten Krisen haben unsere mittelständischen Unternehmen fest im Griff. Und was sich politisch in Brüssel und Berlin abspielt, trägt leider nicht zu Entspannung bei – im Gegenteil.
Was konkret meinen Sie damit?
Das Drama um den Haushalt der Ampelkoalition kann keinen mittelständischen Industriebetrieb kalt lassen. Wer jetzt aber so tut, als ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Betriebsunfall ist, verkennt die Lage. Die Bundesregierung hatte von Anfang an keinen konsistenten Plan für die Energiewende. Und das rächt sich jetzt.
Was bedeutet das für die Branche?
Wir sehen, wie ausgerechnet unser technologisches Zugpferd lahmt, also die technischen Textilien. Warum? Weil die Produktion von Spezialtextilien in Deutschland angesichts der Energiepreise bei uns viel zu teuer ist. Dabei haben wir hier die modernsten Anlagen, textile Spitzentechnologie vom Feinsten! Am Ende müssen Sie dann aber der Wahrheit ins Auge schauen, und die ist: Außerhalb Deutschlands ist es eben sehr viel günstiger, Textilien zu produzieren und sie zu veredeln. Hinzu kommt noch ein Tsunami an Reglementierungen …
Damit meinen Sie wohl die Nachhaltigkeitsgesetzgebung?
Ja, unter anderem. Unsere Branche ist von 16 europäischen Gesetzesvorhaben betroffen. Die europäische Richtlinie für ein Lieferkettengesetz soll sogar über unser deutsches Lieferkettengesetz hinausgehen. Nachhaltigkeit ist für uns selbstverständlich ein großes und wichtiges Thema, das stellen unsere Unternehmen jeden Tag unter Beweis.
Wenn Sie am Ende aber so viele Regulierungen und Berichtspflichten haben, dass Sie sich nicht mehr um den Kern Ihrer Arbeit kümmern können, dann läuft etwas schief. Das gilt ganz besonders auch für die Chemikalienpolitik.
Bei der hat sich Wirtschaftsminister Robert Habeck bei Ihrer Jahrestagung ja für eine Politik mit Augenmaß ausgesprochen.
Stimmt – und das haben wir als echten Sieg der Vernunft zur Kenntnis genommen. Den Worten müssen aber auch Taten folgen! Wenn wir hier in Europa keine Schutzanzüge für die Feuerwehr mehr produzieren können oder wenn Sie für Ihren Balkon alle paar Jahre eine neue Markise kaufen müssen, weil Stoffe nicht mehr entsprechend wetterfest ausgerüstet werden dürfen, stellt sich doch die Frage der Sinnhaftigkeit von solchen Verboten.
Sie wirken da einigermaßen aufgebracht.
Ja. Eben weil ich erlebe, mit wie viel Engagement und Know-how sich unsere 1.400 Unternehmen der Textil- und Mode-Industrie in den vergangenen drei Jahrzehnten zukunftsfest aufgestellt haben. Wir können Wandel. Und wir liefern in zahlreiche Branchen super Produkte, die unverzichtbare Bestandteile unserer Wertschöpfungsketten sind. Von Spezialtextilien über Medizintextilien bis in den Wohn- und Bekleidungsbereich: Die Palette neuer, innovativer Textilien erweitert sich wirklich tagtäglich. Und wir stehen kurz davor, echte Entwicklungssprünge in Sachen Kreislaufwirtschaft zu erleben, auch dank der Digitalisierung.
Was brauchen die Unternehmen dafür im neuen Jahr 2024?
Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Und eine an naturwissenschaftlichen Gesetzen orientierte Chemikalienpolitik. Dazu gehört auch natürlich die Erkenntnis, dass wir nur mit mehr Technologie und nicht mit immer mehr Regulierungen nachhaltig und klimaneutral werden können. Ich sage das jetzt aus echter Überzeugung: Nur mit einer leistungsfähigen Textil- und Mode-Industrie am Standort Deutschland wird die Transformation in diesem Land gelingen.
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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