Das spezielle Textil ist 5 Meter breit, 40 Meter lang und 530 Kilo schwer. Wie ein dicker Vorhang hängt das Schwergewicht von dem Dorn eines Gabelstaplers. „Das ist ein besonderer Verbundstoff: Die nächste Generation des textilen Umweltschutzes im Erd- und Wasserbau!“
So sagt es jedenfalls Stefan Niewerth. Der Bauingenieur leitet das Umwelttechnik-Team beim Geotextilienhersteller HUESKER in Gescher. Für den aktiv-Besuch im Betrieb hat der 34-Jährige das riesige Vlies extra an einen Gabelstapler hängen lassen. Das Verblüffende an dem Stoff ist aber nicht seine offensichtliche Größe, sondern seine Funktion. „Es ist ein riesiger wasserdurchlässiger Schadstoffspeicher“, erklärt Niewerth.
Schadstoffe lassen sich vor Ort dauerhaft einpacken
Seit bald zehn Jahren tüftelt das Unternehmen, das auch sogenannte Geogitter zur Bewehrung von Erdmassen im Wasser-, Berg-, Erd- und Verkehrswegebau fertigt, an diesen textilen Schadstofffiltermatten. „Die Idee stammt aus den USA“, sagt der Ingenieur. Dort (wie auch in Europa) haben sich in den Sedimenten von Flussläufen in der Nähe großer Industrieanlagen über Jahrzehnte erhebliche Schadstoffmengen angesammelt. „Sie auszubaggern und zu deponieren, ist sehr teuer. Die Amerikaner wollten eine Lösung vor Ort.“ Die muss die Schadstoffe isolieren und so das Wasser schützen.
Und genau das tun die textilen Schadstoffmatten. Aufgebaut sind sie wie ein Sandwich: Zwischen einer Vliesstofflage und einer Gewebelage liegt ein Filterkern, der je nach dem vor Ort vorhandenen Schadstoff diesen an sich bindet. Alle drei Lagen werden wie ein Vlies vernadelt. „Für Öl nutzen wir zum Beispiel ein Absorptionsvlies als Filterkern, für organische Schadstoffe Aktivkohle“, sagt Niewerth.
Selbst PFAS-Verbindungen, die die EU bald verbieten lassen will, können so unschädlich gemacht werden. Diese per- und polyfluorierten Alkylverbindungen bauen sich nicht natürlich ab und reichern sich daher im Boden an. Diese speziellen Chemikalien, zu denen auch die Fluorcarbone gehören, können nach Angabe des Unternehmens mit einem speziellen Filterkern aufgefangen und isoliert werden. Wie das funktioniert, demonstriert Niewerth in einem Laborexperiment: Durch eine ein Zentimeter dicke Schicht, in der ein Absorptionskern aus Aktivkohle enthalten ist, lässt er blau gefärbtes Wasser fließen. Ins Glas darunter tropft klares, ungefärbtes Wasser! Denn: „Die blauen Farbpigmente stecken jetzt in der Aktivkohle.“
Der Filterkern nimmt über Jahrzehnte belastende Stoffe auf
Was man dazu wissen muss: Zehn Gramm des Aktivkohle-Granulats haben die Fläche eines Fußballfeldes! So können besonders viele Farbpigmente – oder auch Schadstoffe – aufgefangen werden. „Je nach der genauen Anwendung können wir die Aufnahmekapazität auf Jahrzehnte auslegen.“
Selbst PFAS-Verbindungen, die die EU bald verbieten lassen will, können so unschädlich gemacht werden
Mittlerweile stecken die Matten aus Gescher in mehreren Infrastrukturprojekten in Europa. Bekommt HUESKER den Zuschlag für ein Großprojekt in Italien, würden dort über 150.000 Quadratmeter der innovativen Schadstoffbarrieren verbaut.
„Wir stecken da aber noch in der Marktentwicklung“, macht Niewerth klar, „denn eine solche Art der Schadstoffisolierung ist in Europa noch nicht üblich.“ Jeder Einbau bedürfe daher einer zeitaufwendigen Einzelfallzulassung. Niewerth und sein Team, zu dem auch Bauingenieur Rony Majed gehört, wollen deshalb jetzt bei Planern und Genehmigungsbehörden Interesse und Verständnis für die neue Methode wecken. „Da helfen Labor- und Feldversuche, die wir regelmäßig machen und deren Daten wir weiterleiten“, sagt Majed. Er überwacht gerade einen Versuch, bei dem die Wasserdurchlässigkeit der Filtermatten getestet wird.
„Wir entwickeln auch neue Nachweisverfahren und Berechnungsmethoden, um die genauen Abläufe im Boden zu dokumentieren“, sagt Niewerth.
Er hofft, dass diese Art der Schadstoffsicherung in den nächsten zehn Jahren Standard wird. Genug zu tun gibt es allemal. Allein in Deutschland schlummern Zehntausende unsanierte Altlasten im Erdreich.
Interview: „Fluorcarbone schützen Menschen bei ihrer Arbeit“
Die EU will spezielle Chemikalien verbieten. Davor warnt Markus Strauß, Experte beim Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie.
Herr Strauß, warum sollen die Fluorcarbone eigentlich verboten werden?
Hauptgrund ist, dass sie sich nicht biologisch abbauen. Einige wenige Varianten gelten als giftig oder krebserregend.
Auf was läuft der Verbotsvorschlag hinaus?
Im Kern würden Fluorcarbone in Produkten, die für Privatverbraucher gedacht sind, verboten werden.
Das hört sich doch gut an.
Ja, aber nur vordergründig! Ein Auto dürfte dann womöglich nicht mehr an einen Privatmann verkauft werden, weil es eine mit Fluorcarbon ausgerüstete Brandschutzmatte hat. Die ist aber sicherheitsrelevant. Der Vorschlag verkennt, dass es wichtige Einsatzbereiche gibt, die nur ganz geringe Fluorcarbonmengen enthalten.
Gibt es dafür denn keine Alternativen?
Nicht im Hochsicherheitsbereich. Dort schützen Fluorcarbone etwa in Schutzausrüstungen vor Hitze, Feuer oder Chemikalien. Sie schützen Menschen bei ihrer Arbeit. Sie stecken auch in technischen Textilien etwa für den Umweltschutz.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir versuchen, die Hochleistungstextilien, die Fluorcarbone benötigen, klar abzugrenzen. Ihre Verarbeitung muss weiter möglich sein! Sonst könnten wir wichtige Textilien in der EU gar nicht mehr herstellen.
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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