Linsengericht-Altenhaßlau. Ob Handyhülle, Autolack oder Markise: Damit Materialien nicht schon nach kurzer Zeit unter freiem Himmel kaputtgehen, setzen Hersteller auf anspruchsvolle Dauertests im weltgrößten Bewitterungslabor von Atlas Material Testing Technology in Linsengericht. Wie man dort Alterungsprozesse beschleunigt, erfuhr aktiv im Gespräch mit Geschäftsführer Jörn Jahnke.
Herr Jahnke, warum packt Atlas die Sonne in den Schrank?
Man braucht eine künstliche Sonne – konkret sind das Xenon-Lampen, die sehr genau an das natürliche Sonnenlicht angepasst werden –, um Materialien rund um die Uhr genau definierten, extremen Bedingungen auszusetzen. Nur über identische Testbedingungen bekommt man vergleichbare Ergebnisse. So lassen sich schon nach sehr kurzer Zeit Veränderungen feststellen. Lacke etwa können abblättern, Flüssigkeiten ihre Farbe verändern. Textilien verlieren Elastizität, Medikamente Wirkstoffe.
Nicht zuletzt die Autohersteller wollen, dass Armaturenbrett und Sitze gleichbleibend gut aussehen und der Lack glänzt. Damit sie das garantieren können, brauchen sie unsere Prüfgeräte. Atlas ist nach ISO 17025 akkreditiert und sorgt durch regelmäßige Kalibrierung aller Gerätesensoren dafür, dass die Testergebnisse zuverlässig und reproduzierbar sind.“
Wie kam die Sonne in den Schrank?
Vor gut 100 Jahren hat man nach Filmdrehs festgestellt, dass sich Materialien veränderten durch das für die Dreharbeiten notwendige grelle Licht. Die Lampen für dieses Licht kamen von Atlas. Dort entstand dann die Idee, es auch für Materialtests zu nutzen.
Wer für seine Arbeit hellstes Sonnenlicht simulieren muss, ist also bei Ihnen genau richtig?
Ja. Und falls etwas nicht in unsere Maschinen passt, wird die Anlage um das zu testende Gerät eben drum herum gebaut. In größeren Anlagen können dann schon mal 100 und mehr künstliche Sonnen verbaut sein, etwa wenn es um das Testen an einem Flugzeug geht. Selbst bei Crashtests sind wir dabei, weil Veränderungen an einer Fahrzeugkarosserie nur exakt erfasst werden können, wenn der Aufprall perfekt ausgeleuchtet ist.
Wo sehen Sie aktuell die größte Herausforderung?
Trotz immer schwierigerer Rahmenbedingungen gut am Standort hier zu bestehen, ist inzwischen eine echte Herausforderung. Der Fachkräftemangel, die hohen Stromkosten, die Sorge, dass die gewohnte und für Atlas so wichtige verlässliche Stromversorgung nicht mehr funktionieren könnte, sowie die geringe Vorhersehbarkeit so dramatischer Ereignisse wie in den letzten drei Jahren – das treibt mich schon um.
Wir müssen unsere Planungen permanent immer wieder überprüfen und gegebenenfalls viel schneller als früher an die aktuellen Veränderungen anpassen. Ich bin deshalb sehr froh, dass ich hier mit einem tollen, engagierten Team arbeiten kann, das sich die gute Laune so schnell nicht verderben lässt.
Wem gehört Atlas?
Wir sind mit knapp 300 Mitarbeitern weltweit ein Teil von Ametek, einem börsennotierten US-Unternehmen mit gut 18.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 6,2 Milliarden US-Dollar. Wir nutzen unter anderem die vielen Vertriebsniederlassungen des Konzerns für unser Geschäft, können aber weitgehend unabhängig arbeiten und eigene Entscheidungen treffen – solange unsere Kennzahlen wie Umsatz, Innovationskraft und Wachstum stimmen.
Zur Person
Jörn Jahnke
- Geboren 1964 in Hamburg.
- Physikstudium an der Uni Hamburg, Diplomarbeit am Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht.
- 1989 Berufseinstieg bei Heraeus in Hanau, verschiedene Leitungspositionen, unter anderem in China.
- Seite 2018: Geschäftsführer von Atlas Material Testing Technology in Linsengericht.
Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.
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