Köln/München. In beinahe jedem Beruf ergänzen Computer und weitere digitale Werkzeuge die traditionelle Arbeitsweise. Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Robotik, Dekarbonisierung, Transformation etwa in der Auto-Industrie: Das alles verändert unsere Arbeitswelt massiv. Doch wohin geht die Reise? Darüber sprach aktiv mit Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW).
Herr Stettes, wie werden wir in zehn Jahren arbeiten?
Ganz ehrlich: Das weiß ich auch nicht. In unsere Zukunft zu schauen wäre Hellseherei. Was wir aber wissen, ist, dass sich unsere Arbeitswelt wandelt, und zwar permanent. In diesem Prozess stecken wir schon länger. Und wir sehen natürlich eine bestimmte Richtung, in die es läuft.
Welche Richtung ist das denn?
Es gibt große, globale Trends, die die Unternehmen mitgehen müssen, wenn sie weiterhin am Markt bestehen wollen. Etwa die Digitalisierung, automatisierte Fertigung, Transformation in der Auto-Industrie, datengetriebene Geschäftsmodelle, aber auch der sozial-ökologische Wandel. Dafür sind neue Fertigkeiten notwendig, die die Mitarbeiter erst lernen müssen. Soll heißen: Für den Einzelnen verändern sich unter Umständen seine Aufgaben sehr stark. Wir sind in einem Prozess, der uns ständig neue Fertigkeiten abverlangt, die wir uns während unseres gesamten Arbeitslebens immer wieder neu aneignen müssen. Damit umzugehen, ist die eigentliche Herausforderung, wenn wir von neuer Arbeitswelt sprechen.
Ein zentraler Punkt ist also lebenslanges Lernen?
Das ist richtig. Wir werden erleben, dass Routinen immer häufiger durchbrochen werden. Und wir werden erleben, dass Arbeitswelten auch innerhalb eines Betriebs immer vielfältiger werden. Vielleicht ist das eine Team schon ganz digital unterwegs, macht ständig neue Aufgaben, während eine andere Abteilung noch sehr traditionell tätig ist. Beide Arbeitswelten muss die Firma unter einen Hut bringen und dafür eine entsprechende Kultur schaffen.
Brauchen wir dafür neue Regeln?
Betriebe brauchen vor allem Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung, Spielraum für differenzierte Lösungen. Wenn ich an die Politik denke: Sie sollte keine starren Regeln vorgeben, die die Betriebe einschränken. Denn auf die Veränderungen muss man schnell reagieren können. Das ist bei einem starren Korsett schwierig.
Was heißt das konkret?
Nehmen wir das Beispiel Homeoffice. Dies war schon vor Corona möglich, meist individuell abgesprochen zwischen Firma und Mitarbeiter. Dahinter stand ein Abwägeprozess, ob Homeoffice für beide Seiten sinnvoll und realisierbar ist. Zu Corona-Zeiten war und ist es vernünftig, mobiles Arbeiten als Schutz vor Ansteckung auszuweiten. Das hat aber nichts mit früheren, individuellen Gründen zu tun. Wenn nun, aus dieser Schutzmaßnahme heraus, eine Regel geschaffen wird, die Anspruch auf Homeoffice für alle vorgibt, dann findet doch das individuelle Abwägen gar nicht mehr statt. Denn auch wenn für Bürojobs mobiles Arbeiten Sinn macht, kann das für Entwickler, die von Teamaustausch leben, ganz anders aussehen. Daher ist es besser, nur einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der beides ermöglicht.
Qualifizierung verlangt uns viel ab. Ist das zu schaffen?
Wenn wir zurückblicken, ist ehrlicherweise auch unser bisheriger Arbeitsweg ein ständiger Lernprozess. Bei jedem Software-Update, jedem neuen Werkzeug, das wir nutzen, müssen wir streng genommen neu lernen, es anzuwenden. So funktioniert auch das Erlernen digitaler Fertigkeiten. Das geht Schritt für Schritt. Wo wir sehr gut gesehen haben, dass Menschen extrem lernfähig sind, wenn es darauf ankommt, ist die Corona-Pandemie. Hier haben wir ganz schnell neue Verhaltensweisen übernommen. Vieles haben wir selber mitgestaltet, wir waren Teil des Prozesses. Das wird auch im Unternehmen bei neuen Aufgaben so sein.
Was haben wir am Ende davon?
Neues kann Dinge verbessern. Gerade auch für die Mitarbeiter. Wenn etwa Maschinen schwere Aufgaben übernehmen, wird die Arbeit sicherer, das schont die Gesundheit. Dadurch sind wir leistungsfähiger, die Arbeitsbedingungen werden besser. Und es besteht die Chance, dass es weiterhin lukrative, gut bezahlte Jobs gibt. Das ist für uns alle ein Gewinn.
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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