Berlin/Flensburg. Vor ein paar Jahren wurde das erste Elektroauto von BMW, der außergewöhnlich gestylte i3, noch bestaunt. Das ulkige Postauto Streetscooter wurde belächelt. Doch inzwischen sind E-Autos in Deutschland keine Exoten mehr – was nicht zuletzt an staatlichen Kaufanreizen liegt.

Im ersten Halbjahr rollten laut Kraftfahrt-Bundesamt 149.000 Autos mit Batterie-Antrieb neu auf die Straße, dreimal so viele wie im Vorjahreszeitraum. „Das E-Auto ist in der Mitte der mobilen Gesellschaft angekommen“, stellt Richard Damm fest, Präsident der Flensburger Behörde.

Ob VW E-Up, Opel Corsa-e, Audi e-tron oder BMW i3: Fast 60 Prozent der neu zugelassenen Stromer entfielen auf die deutschen Konzerne. Die Modelle der US-Marke Tesla – dem einstigen Angreifer auf dem Markt – kamen auf 9 Prozent.

Der Hype wird durch neue Modelle befeuert. Derzeit bieten allein die deutschen Hersteller 70 verschiedene E-Autos an – inklusive Plug-in-Hybride. Die Zahl soll sich laut Verband der Automobilindustrie (VDA) bis Ende 2023 auf 150 verdoppeln.

Extrem ambitionierter Klima-Plan der EU-Kommission

Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens zehn Millionen Stromer auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Nur so sind die ambitionierten Ziele des Klimaplans „Fit for 55“ zu schaffen, den die EU-Kommission Mitte Juli präsentiert hat. Demnach müssen Neuwagen 2030 im Schnitt 55 Prozent weniger Kohlendioxid (CO2) ausstoßen als heute – und 2035 sind dann Null-Emissionen angesagt. Dies bedeutet das Aus für den Verbrenner.

Audi will schon in fünf Jahren seinen letzten Wagen mit klassischem Antrieb auf den Markt bringen, bei Opel soll 2028 Schluss sein. Auch die anderen deutschen Marken steuern um. Das setzt die Zulieferer unter massiven Druck.

Die 1.000 deutschen Autozulieferer beschäftigen 300.000 Menschen. In der gesamten Auto-Industrie, einer der deutschen Schlüsselbranchen, sind es rund 800.000. Aber wie sieht die Zukunft aus?

Große Veränderungen für Hunderttausende Arbeitnehmer

Der Wandel zur E-Mobilität koste 180.000 Jobs, schaffe aber auch über 200.000 neue, so eine neue Untersuchung der Denkfabrik Agora Verkehrswende und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Die Fahrzeughersteller würden bis 2030 etwa 70.000 Arbeitsplätze verlieren, Zulieferfirmen büßten 95.000 Stellen ein. Und bei Wartung und Reparatur in den Werkstätten sind es 15.000 Jobs.

Grund: Einen Antriebsstrang mit Verbrennungsmotor, Kupplung, Schaltung, Getriebe und Auspuff brauchen E-Autos nicht. In ihnen stecken weniger Teile, das verringert den Arbeitsaufwand. Für Hunderttausende Beschäftigte komme es, so die Studie, zu starken Veränderungen ihres Berufsbildes – das erfordert Umschulung und Weiterbildung in großem Stil.

Bis 2025 steckt die deutsche Autoindustrie 150 Milliarden Euro in die E-Mobilität

Andererseits bringt die E-Mobilität gut 200.000 neue Jobs – vor allem bei Herstellern von elektrischen Komponenten und Ladesäulen. Ein großer Teil wird dabei auf die Batteriefertigung entfallen.

Das Münchner Ifo-Institut hingegen kam in einer vom VDA in Auftrag gegebenen Studie im Mai zu dem Ergebnis, dass bis 2025 durch schrumpfende Verbrenner-Produktion mehr Stellen wegfielen, als Beschäftigte in Rente gingen. Bis zu 221.000 Jobs stünden auf der Kippe. Auch die Ifo-Autoren setzten als Lösungskonzepte auf Weiterbildung und Umschulung.

Wie die Firmen den Wandel mit ihren Belegschaften meistern – das ist die Frage. Großunternehmen wie VW, BMW oder Audi investieren groß in die sogenannte Transformation – weg vom Verbrenner hin zum E-Auto. Die VDA-Mitgliedsunternehmen stecken bis 2025 rund 150 Milliarden Euro in die E-Mobilität.

„Die Transformation der Jobs ist kein Automatismus“, so der Verband. Die Bundesagentur für Arbeit stellt sich deshalb auf Probleme bei kleineren Zulieferern ein. „Es werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren gehen“, sagt Behördenchef Detlef Scheele. Insgesamt erwartet er aber, dass die Transformation „relativ gut gelingen“ werde.

12 Milliarden Euro sollen EU-weit allein in neue Batteriefabriken fließen

Die Fakten sprechen dafür. Denn die Autozulieferer drücken mächtig aufs Tempo in Sachen E-Mobilität.

Bisher kommen die Batterien, neben der Antriebstechnik das Herz eines E-Fahrzeugs, vor allem aus Asien. Das soll sich ändern. EU-weit sollen 12 Milliarden Euro in neue Batteriefabriken fließen – davon steuert Brüssel knapp 3 Milliarden Euro an Fördermitteln bei. Nur mit leistungsstarken und kostengünstigen Batterien werden sich die E-Autos auf dem deutschen Markt durchsetzen.

Zulieferer wie Webasto, ElringKlinger und Bosch mischen groß mit

Neben Herstellern wie VW und Mercedes drängen auch Zulieferer in das Zukunftsgeschäft. Wie der Dach- und Heizsystemeproduzent Webasto aus Stockdorf bei München. Für die Batteriefertigung hat die Firma in Schierling (Landkreis Regensburg) eine erste Produktionsanlage errichtet. Weitere Werke sollen folgen.

Der schwäbische Produzent ElringKlinger, der mit Motordichtungen groß geworden ist, entwickelt ein innovatives Batteriegehäuse. Es wird dazu beitragen, dass der Einsatz energieintensiver Rohstoffe wie Aluminium und Kupfer in der Akku-Fertigung stark verringert wird.

Unter Strom steht auch Bosch. Bei diesem Hersteller entwickeln sich Produkte für E-Autos zum Kerngeschäft. Bis Ende letzten Jahres habe man schon Aufträge von insgesamt 20 Milliarden Euro eingesammelt, verkündete unlängst Volkmar Denner, Chef des Stuttgarter Unternehmens. Derzeit arbeitet Bosch unter anderem an einem stufenlosen Automatikgetriebe für Stromer, das in einigen Jahren Elektroautos noch spritziger und schneller machen soll.

Der Zulieferer Mahle (ebenfalls in Stuttgart), bekannt für seine Kolben, macht mittlerweile 60 Prozent des Umsatzes mit neuen Produkten. So hat der Hersteller beispielsweise eine Art Batteriekühlung für ein schnelleres Laden entwickelt.

Jetzt wird Tesla vom Jäger zum Gejagten

Bei ZF hängen nur noch 25 bis 30 Prozent des Konzernumsatzes am Verbrenner. Dabei wird für den Zulieferer aus Friedrichshafen, der unter anderem E-Antriebe für Pkws und Nutzfahrzeuge anbietet, die IT wichtiger. Denn die Autobauer wollen zunehmend die Rechenleistung ihres Fahrzeugs in einem einzigen Computer zentralisieren, wie das bei der US-Marke Tesla längst der Fall ist.

Das hatten die deutschen Hersteller lange nicht auf dem Schirm. Jetzt rüsten sie mit großem Aufwand nach. Und machen so Tesla vom Jäger zum Gejagten.