Eppstein. „Mehr unternehmerische Freiheit für mehr Nachhaltigkeit“ forderte Wolf Matthias Mang, Vorstandsvorsitzender von Hessenmetall, gleich zu Beginn in seiner Eröffnungsrede zum 33. Hessenforum vor rund 170 Gästen im Botanical in Eppstein. Der Unternehmer: „Nachhaltige Industrie ist keine Schöpfung aus dem Nichts, sondern sie ist die radikale Erneuerung früherer Innovationen im Licht neuer Erkenntnisse und der Schüssel, um Wachstum und Klimaschutz zu vereinbaren.“
Schon jetzt gebe es viele gute Ideen, und erste Erfolge zeigten sich. Die hessische Metall-, Elektro- und IT-Industrie sei damit auf dem besten Weg, nachhaltig und smart erfolgreich zu werden. Vier Faktoren seien mit ausschlaggebend für die Zukunft der M+E+IT-Industrie: nachhaltige Produkte, nachhaltiges Wachstum, das auf der Entkopplung von Wohlstand und Emissionen beruhe, das Gelingen der digitalen Transformation sowie Nachhaltigkeit als Vorteil im globalen Wettbewerb.
„Allerdings wird das kein Kinderspiel“, betonte Mang. „Wir brauchen deshalb bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen und Beschäftigung, damit auch zukünftige Generationen hier produzieren können.“ Um die Herausforderungen des Strukturwandels und des sich gleichzeitig verschärfenden Fachkräftemangels bewältigen zu können und Wohlstand zu sichern, brauche es weniger Bürokratie, niedrigere Steuern und Abgaben und auch international wettbewerbsfähige Energiekosten.
Professor Jan Wörner empfahl in seinem Vortrag, bei der Suche nach Lösungen auch scheinbar verrückten Ideen nachzugehen und eine Chance zu geben, wie es zum Beispiel Elon Musk vorlebe. Der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften in München und Raumfahrtkoordinator des Landes Hessen: „Für konkrete Lösungen brauchen wir ganz viele findige Daniel und auch Daniela Düsentriebs.“ Und davon gebe es in Deutschland nie genug, so der Wissenschaftler.
„Die Zeit zum Handeln ist jetzt“
Wie weit einige Unternehmen bereits gekommen sind, zeigte unter anderem Dr. Britta Giesen, Vorstandsvorsitzende von Pfeiffer Vacuum in Aßlar. Schon jetzt habe man am Stammsitz die Energieintensität, also den Treibhausgasausstoß bezogen auf den Umsatz, in den letzten Jahren halbiert. Bis 2030 will man weltweit klimaneutral produzieren. „Dafür arbeiten wir an einem komplexen Fahrplan und investieren in allen Werken in Photovoltaik, Wärmerückgewinnung und mehr.“ Die promovierte Wirtschaftsingenieurin wünscht sich ein noch höheres Bewusstsein für die Dringlichkeit und den Ernst der Lage bei jedem Einzelnen und nicht zuletzt bei der Politik.
„Alle unsere Lieferanten müssen selbst nachhaltig unterwegs sein“
Das hat auch Atos erkannt, ein führender IT-Dienstleister. „Laut internationalen Ratings sind wir weltweit führend beim Thema Nachhaltigkeit“, sagte Alexandra Knupe, Senior Vice President und verantwortlich für das Nachhaltigkeitsprogramm. Bis 2039 will Atos klimaneutral sein. „Das kann nur gelingen, wenn man alle Emissionen entlang der kompletten Wertschöpfungskette akribisch erhebt und analysiert.“
Und dennoch sei es eine echte Herausforderung. Nur 10 Prozent der Emissionen von Atos würden direkt verursacht, 90 Prozent durch die dahinterliegende Wertschöpfungskette. „Weshalb auch alle unsere Lieferanten selbst nachhaltig unterwegs sein müssen“, betonte Knupe.
Berichtspflichten binden zu viele notwendige Kräfte
Laut Baldassare La Gaetana, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von Aqseptence in Aarbergen, will man dort schon 2025 klimaneutral produzieren. Allerdings wolle man zuallererst Maschinen und Anlagen herstellen, die Wasser verfügbar machen. La Gaetana: „Wenn die Aqseptence klimaneutral ist, hilft das der Welt weniger, als wenn wir die besten Wasseranlagen der Welt herstellen.“
Überbordende Berichtspflichten, wie sie sich aus der von der EU beschlossenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ergeben, lehnten er wie auch Britta Giesen und Alexandra Knupe ab. „Sie bis zum letzten zu erfüllen, ist unmöglich, und dabei bindet das nur Kräfte, die wir gerade im Sinne der Nachhaltigkeit woanders viel besser einsetzen könnten“, so La Gaetana.
Eindringliches Fazit von Gastgeber Mang: „Professionelles Nachhaltigkeitsmanagement ermöglicht unserer Industrie Wettbewerbsvorteile. Denn deutsche Unternehmen punkten immer noch mit Qualität, aber neuerdings eben auch mit Nachhaltigkeit in der Wahrnehmung ihrer globalen Kunden.“
Die Schritte zu mehr Nachhaltigkeit
Über die Schritte zur Nachhaltigkeitsstrategie:
- Analyse der Chancen und Risiken, die mit ökologischen und sozialen Themen für Firmen verbunden sind.
- Unbedingt erforderlich ist die Schaffung einer umfassenden Datengrundlage.
- Nachhaltigkeit sollte keine „Parallelwelt“ sein, sondern sich auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken.
- Zukünftig wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine zentrale Rolle spielen.
- Wichtig: aufgeschlossene Haltung und nachhaltigkeitsorientierte Kooperationen.
Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.
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