München. Es knirscht gewaltig im Getriebe der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E). Die Corona-Pandemie trifft die exportorientierte Branche besonders stark – auch jetzt noch. Wie sich der aktuelle, immer striktere Lockdown auf die Wirtschaft auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Genau dies müssen die Vertreter von Gewerkschaft und Arbeitnehmerverband für den neuen Tarifvertrag im Blick behalten. Am 8. Februar verhandeln sie zum dritten Mal.

Denn eins hat die Corona-Pandemie eindeutig gezeigt: Sie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf viele Herausforderungen, mit denen sich die M+E-Industrie bereits vor Ausbruch der Pandemie auseinandersetzen musste.

Da ist etwa die schon länger anhaltende Rezession. Ende 2019, als das Corona-Virus noch keine Rolle spielte, rechneten mehr als die Hälfte der bayerischen M+E-Betriebe bereits mit einer längeren konjunkturellen Durststrecke. Aufgrund der Auftragsrückgänge hatten sie schon damals begonnen, ihre Personalkapazitäten anzupassen. Etwa, indem Mitarbeiter ihre Überstunden abbauten oder ihre Zeitkonten ausglichen.

Mehr zum Thema

Tarifverhandlungen in der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie: Die historische Situation aufgrund von Corona macht Kompromisse nötig.
Themenspecial: Tarifverhandlungen 2021 Metall- und Elektro-Industrie in Bayern

Verhandlungen: Warum wir für den Tarifvertrag eine kluge Lösung brauchen

mehr
Sensibel: Kunden weltweit schauen aufgrund ihrer angespannten ökonomischen Situation durch Corona noch stärker auf den Preis, sagt Konjunktur-Experte Professor Michael Grömling vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
Themenspecial: Tarifverhandlungen 2021 Metall- und Elektro-Industrie in Bayern

Damit die Industrie nach Corona schnell durchstarten kann, muss sie wettbewerbsfähig sein

mehr

Die Nachfrage nach Produkten ist eingebrochen

Gerade als Anfang des Jahres 2020 die Wirtschaft ein wenig anzog, stoppte die Corona-Pandemie jegliche Belebung der Konjunktur. Weltweit brach im Lockdown in fast allen Exportländern die Nachfrage ein, Lieferketten waren nachhaltig gestört. Auch wenn sich die Märkte in der zweiten Jahreshälfte etwas beruhigten, liegen die Ausfuhrzahlen für Januar bis November deutlich unter den Vorjahreswerten.

In die USA exportierten die bayerischen M+E-Betriebe 24,5 Prozent weniger, nach Großbritannien 24 Prozent. Die Exporte nach Frankreich und Italien sanken um jeweils rund 19 Prozent, nach Österreich um knapp 13 Prozent. Angesichts dieser anhaltend geringen Nachfrage weltweit müssen viele M+E-Unternehmen Personal abbauen – das ja bereits vor der Krise nicht voll ausgelastet war. Etwa 3.000 Stellen fallen derzeit pro Monat weg.

Ob sich der Trend noch verstärkt, wenn aufgrund erneuter harter Lockdown-Maßnahmen weltweit die Kauflaune wieder deutlich sinkt, ist Stand heute nicht absehbar. Allerdings: Dass nicht noch mehr Stellen gestrichen werden mussten, liegt an der massiven Ausweitung der Kurzarbeit, der Aussetzung der Insolvenzpflicht im vergangenen Jahr sowie weiteren Maßnahmen in den Betrieben, um Mitarbeiter trotz der kritischen Lage zu halten.

Mehr als die Hälfte der bayerischen M+E-Unternehmen rechnen nicht damit, bis Jahresende das Vorkrisenniveau wieder erreicht zu haben. Hoffnung auf eine Normalisierung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Lebens gibt freilich der Impfstoff. Je mehr Menschen weltweit durch Impfung vor Ansteckung geschützt sind, desto größer die Chance, dass sich das Wirtschaftsleben wieder einpendelt – und die Nachfrage auch nach bayerischen Produkten wieder steigt.

Wichtig ist, dass die bayerischen Unternehmen ihre Produkte wettbewerbsfähig herstellen können. Das ist eine Herausforderung. Unter anderem, weil die Arbeitskosten derzeit um 75 Prozent über dem Durchschnitt der wichtigsten globalen Konkurrenten liegen. Die Tarifentgelte sind seit 2010 um 30 Prozent gestiegen – die Produktivität in der M+E-Industrie aber nur um 3 Prozent! Für die Tarifverhandlungen heißt dies: Die Lohnentwicklung der vergangenen Jahre muss gestoppt werden. Für 2021 gibt es jedenfalls keinen Spielraum für Erhöhungen.

Die Digitalisierung in der Industrie muss noch schneller gehen

Weitere Herausforderungen für die exportorientierte Industrie sind die zahlreichen globalen Handelshemmnisse. Zwar haben sich in letzter Minute die EU und Großbritannien auf Regeln beim Brexit verständigt, doch viele Detailfragen sind noch offen. Schon jetzt verzögern Zollkontrollen den Warenverkehr von und nach Großbritannien. Bei den Handelspartnern USA und China müssen die Betriebe ebenfalls mit protektionistischen Politiken zurechtkommen.

Einen riesigen Push hat Corona bei einem Mammutprojekt für die Betriebe gebracht: dem tiefgreifenden strukturellen Wandel. Mehr Digitalisierung, Industrie 4.0, Dekarbonisierung und Klimaneutralität, das war auch vorher schon auf der Agenda. Doch die Auswirkungen der Pandemie haben nochmals deutlich vor Augen geführt, wie wichtig etwa digitale Geschäftsmodelle sind.

Denn wer sich damit bereits beschäftigt hatte, hatte es nun in der Krise leichter, weiterhin Kontakt mit Kunden zu halten und Serviceleistungen anzubieten. Um dies noch gezielter auszubauen, benötigen die Betriebe entsprechendes Kapital – das zurzeit durch die Einnahmeneinbußen knapp ist.

Ebenfalls schneller als vor Corona vollzieht sich der technologische Wandel in der Automobil-Industrie. Hier sind aufseiten der Zulieferer und Hersteller massive Investitionen in neue Lösungen für alternative Antriebsstränge nötig. Diese Branche ist jedoch von Corona noch schwerer getroffen als andere. Um hier die Betriebe in der Tarifrunde nicht weiter zu belasten, benötigen die Tarifparteien vor allem eins: Realismus!

Weitere Artikel dieses Themenspecials:

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

Alle Beiträge der Autorin