Stuttgart. Bei der Bundestagswahl am 26. September sind auch 7,7 Millionen Bürger in Baden-Württemberg aufgerufen, mitzubestimmen, welchen Weg Deutschland in den kommenden vier Jahren nimmt. Wie auch immer die Wahl ausgeht: Auch die Metall- und Elektro-Unternehmen im Südwesten haben ihre Erwartungen an die künftige Regierung.

Gesamtdeutsche Standortfaktoren wie Steuer- und Abgabenlast, Energiepreise oder auch Bürokratiekosten, die durch immer mehr Vorschriften und Pflichten in die Höhe getrieben werden, machen der baden-württembergischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E) besonders zu schaffen. Denn sie ist exportstark und mittelständisch geprägt: Im vergangenen Jahr machten die Betriebe 159 Milliarden Euro Umsatz im Ausland. 87 Prozent der Unternehmen haben weniger als 250 Mitarbeiter. Wohlstand und Jobs hängen im Südwesten besonders stark vom produzierenden Gewerbe ab. Hier arbeiten knapp eine Million Beschäftigte allein in der M+E-Industrie.

Deshalb lässt es die hiesigen Unternehmen nicht kalt, welche Entscheidungen in Berlin getroffen werden – auch in Sachen Bildung, Digitalisierung und Sozialpolitik. Wo sehen sie den größten Handlungsbedarf? aktiv hat fünf Unternehmer nach ihren Prioritäten gefragt.

Bekenntnis zum Standort Deutschland

Dr. Johannes Haupt, CEO der Blanc & Fischer Familienholding, Oberderdingen.

„Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen muss gestärkt werden"

Ich wünsche mir von der neuen Bundesregierung ein deutliches Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Deutschland und dass diesem Bekenntnis auch entsprechende Handlungen folgen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen muss unbedingt gestärkt werden. Dazu bedarf es aber Reformen, die schnell und konsequent, aber mit Sinn und Verstand umgesetzt werden – zum Beispiel in der Bildungspolitik und bei Digitalisierungsthemen.

Auch zentral definierte, ambitionierte Nachhaltigkeits- und Klimaziele sind richtig und wichtig – wir als Unternehmen teilen diese unbedingt. Sie dürfen aber nicht im Widerspruch und Konflikt zu wirtschaftlichen Zielen stehen. Der Standort Deutschland ist noch immer ein Markenzeichen für gute, hochwertige und differenzierte Produkte und Unternehmen – das gilt es zu erhalten und auszubauen.

Energiepreise und Steuern senken

Dr. Harald Marquardt, Vorstandsvorsitzender der Marquardt Gruppe, Rietheim-Weilheim.

„Vor allem Mittelständler brauchen Entlastung"

Ein Großteil der Wertschöpfung und der Steuereinnahmen in unserem Land wird von den Industrieunternehmen und ihren Beschäftigten erarbeitet. Trotzdem haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Wir gehören schon lange zu den Ländern mit den höchsten Steuerabgaben weltweit. Zudem sind unsere Energiekosten wegen der Steuern die höchsten weltweit – sie verzerren den globalen Wettbewerb zum Nachteil unserer heimischen Industrie.

Die künftige Bundesregierung sollte deshalb wachstumsfeindlichen Steuererhöhungen wie einer Vermögensteuer eine klare Absage erteilen. Und sie sollte mit umfassenden Reformen die Abgabenlast insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen nachhaltig reduzieren – damit Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird und Investitionen hierzulande wieder einen Sinn machen.

Technologieoffenheit beim Klimaschutz

Christian Sulser, Vorstand Vertrieb & Marketing der Iveco Magirus AG, Ulm.

„Jede Antriebsart, die CO2 einspart, sollte Förderung erhalten"

Ich wünsche mir von der neuen Bundesregierung bezüglich alternativer Antriebsformen für Nutzfahrzeuge eine Technologieoffenheit, um ohne Verbote und Verzicht nachhaltigen Umweltschutz vor Ort und weltweit zu betreiben. Alle Antriebsarten, die den CO2-Ausstoß reduzieren können, sollten eine faire Chance und entsprechende Förderungen erhalten.

Mit komprimiertem oder verflüssigtem Bio-Gas ist beispielsweise schon heute der emissionsfreie Straßengüterverkehr Wirklichkeit. Während der Elektro- und Brennstoffzellenantrieb bei Technologie und Infrastruktur noch in den Kinderschuhen steckt, stellen mit Methan betriebene Fahrzeuge schon heute eine ausgereifte, saubere und zukunftsfähige Alternative zum Diesel dar. Als Nutzfahrzeughersteller sind wir gegenüber den Kunden verpflichtet, zuverlässige und den Marktgegebenheiten angepasste Lösungen anzubieten.

Reform der Sozialsysteme

Hans-Jörg Vollert, Geschäftsführer der Vollert Anlagenbau GmbH, Weinsberg.

„Die Lohnzusatzkosten dürfen nicht weiter steigen"

Damit unsere Wirtschaft wieder ins Laufen kommt, braucht sie die richtigen Rahmenbedingungen. Ganz zentral ist hier eine Reform der Sozialsysteme. Oberstes Ziel muss dabei sein, dass die Sozialabgaben die Grenze von 40 Prozent des Bruttolohns nicht überschreiten. Die stark exportorientierte Metall- und Elektro-Industrie droht im internationalen Wettbewerb zurückzufallen, wenn die Lohnzusatzkosten weiter steigen. Wir können die sozialen Haushalte schlicht nicht dauerhaft stärker ausbauen, als unser Bruttoinlandsprodukt zunimmt. In der kommenden Legislaturperiode muss es endlich eine ernsthafte Debatte darüber geben, wie die Sozialversicherungssysteme stabil und finanzierbar gehalten werden können.

Politik für Umwelt und Familie

Annette Assfalg, Geschäftsführerin der Assfalg GmbH, Schwäbisch Gmünd.

„Ich wünsche mir eine flächendeckende, qualifizierte Kinderbetreuung"

Von der nächsten Bundesregierung erwarte ich insbesondere, dass sie in vier Bereichen aktiv wird. Erstens: dass sie Maßnahmen zur Nachhaltigkeit und zum Schutz des Lebensraums Erde in einem strafferen und kürzeren Zeitplan gestaltet. Zweitens sollte sie den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, bis die Technologien so weit fortgeschritten sind, dass wir nicht mehr verbrauchen, als die Erde hergibt.

Drittens wünsche ich mir eine flächendeckende und qualifizierte Kinderbetreuung, damit eine berufsbegleitende Unterstützung für Familien und vor allem für Frauen gewährleistet ist. Und mein vierter Punkt: Ehrlichkeit in der Politik, die Dinge so darzustellen, wie sie sind, und nicht, wie man sie gerne hätte.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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