Köln/Berlin. Diese Entscheidung hat die Bundesregierung kalt erwischt! Das erst 2019 erlassene Klimaschutzgesetz muss nachgebessert werden. So sagt es ein bahnbrechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Begründung: Das bisherige Gesetz macht nicht klar, wie die Treibhausgasemissionen ab 2030 weiter sinken sollen. In der Folge müssten künftige Generationen eine viel größere Last tragen, um immer mehr CO2 einzusparen. So würden die Gefahren des Klimawandels zulasten der Jüngeren verschoben.

Im Eiltempo wollte die Große Koalition diesen Vorwurf entkräften – und verabschiedete noch vor dem anstehenden Bundestagswahlkampf ein neues Gesetz.

Schnellschuss wirft Fragen auf

Und das steht drin: In den kommenden neun Jahren soll der Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken – bisher waren 55 Prozent geplant. Neu ist auch, dass für die Zeit nach 2030 konkret festgelegt wurde, wie viel CO2 pro Jahr eingespart werden muss. Für 2040 wird zudem ein Zwischenziel von minus 88 Prozent festgesetzt. 2045 statt 2050 soll Deutschland klimaneutral sein, keine Treibhausgasemissionen verursachen. Jedenfalls nicht mehr, als Kohlenstoff etwa in Wäldern abgebaut werden kann.

Mussten beim Klimaschutz nachbessern: Svenja Schulze (Bundesumweltministerin), Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister) und Olaf Scholz (Bundesfinanzminister) (v.l.n.r)

Wie das erreicht werden soll? Dazu findet sich nichts im Gesetz. Dort stehen bislang nur die Ziele – der Weg dahin ist offen. Konkrete Umsetzungspläne vermisst auch Thilo Schaefer: „Die Politik muss jetzt dringend einen realistischen Fahrplan vorlegen“, sagt der Experte für Umwelt, Energie, Infrastruktur am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Jetzt schnell mehr Windräder und Ladesäulen

Auf zwei Punkte, so Schaefer, komme es bei diesem Fahrplan an: verlässliche politische Rahmenbedingungen, damit Unternehmen in alternative, klimafreundliche Technologien investieren können. Und gemeinsame europäische Strategien. Denn nationale Alleingänge helfen dem Klimaschutz wenig.

Zudem spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. „Wir können es uns nicht leisten, noch Jahre auf den Bau neuer Windräder oder den Ausbau von Ladesäulen für E-Autos zu warten“, sagt Schaefer. Genehmigungen müssen schneller erteilt werden als bisher. Bürokratieabbau sei unerlässlich, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen.

Wenn etwa die energieintensiven Branchen ihre Emissionen einsparen sollen, muss nämlich die Menge an Ökostrom stark gesteigert werden. „Damit zum Bespiel die Chemie-Industrie klimaneutral produzieren kann“, so der IW-Experte, „braucht sie so viel grünen Strom, wie derzeit insgesamt in Deutschland produziert wird. Da müssen wir also noch gewaltig ausbauen.“

Und nicht nur die Industrie ist auf die Power aus der Steckdose angewiesen – auch bei klimaneutralem Verkehr oder Gebäuden kommt es darauf an. Immerhin sorgen diese Bereiche für ähnlich viele Emissionen wie das Verarbeitende Gewerbe.

Mussten beim Klimaschutz nachbessern: Svenja Schulze (Bundesumweltministerin), Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister) und Olaf Scholz (Bundesfinanzminister) (v.l.n.r)

Klimaschutzverträge als wirksames Instrument

Wirtschaft und Privatleben komplett klimaneutral: Das sei nur durch einen Wettlauf der Technologien zu schaffen. Verbote, etwa des Verbrennungsmotors, seien nicht zielführend. Stattdessen komme es auf effektive staatliche Förderung bei Forschung und Entwicklung an – aber zum Beispiel auch für klimaneutrale Kraftstoffe. Ein Vorschlag, den Energie-Experte Schaefer unterstützt, sind Klimaschutzverträge. Unternehmen investieren in CO2-sparende Technologien, der Staat trägt die Mehrkosten dieser grünen Alternativen gegenüber den günstigeren konventionellen Verfahren. In dem Maße, in dem eine neue Technologie sich am Markt durchsetze, könne die Förderung auslaufen. „Klimaschutzverträge geben Unternehmen Planungssicherheit für klimafreundliche Geschäftsmodelle“, sagt Schaefer.

Für Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen wichtig: international einheitliche Regeln. Doch die Klimaziele, auf die sich das Europäische Parlament kürzlich geeinigt hat, bleiben hinter dem neuen Gesetz zurück, das hierzulande gilt. Deutschland muss also zeigen, wie es geht – sonst wird es keine anderen Nachahmer geben.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

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