Stuttgart. Die meisten wussten es schon immer: Baden-Württemberg ist das Land der Tüftler. Jetzt steht es auch schwarz auf weiß im aktuellen Innovationsatlas des Instituts der deutschen Wirtschaft. Der vergleicht die Innovationskraft verschiedener deutscher Wirtschaftsräume – und belegt den südwestlichen Erfindergeist mit handfesten Zahlen. So stecken baden-württembergische Unternehmen am meisten Geld in ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (FuE): nämlich 5,3 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung.

Klingt nicht nach besonders viel? Ist es aber. Der gesamtwirtschaftliche Bundesdurchschnitt (Unternehmen und Staat) liegt bei 3,2 Prozent – der EU-Durchschnitt bei nur 2,3 Prozent. Treibende Kraft dabei sind vor allem die Branchen Automobilbau, Maschinenbau und Elektrotechnik. Kaum verwunderlich also, dass es die Unternehmen im Großraum Stuttgart (von Ludwigsburg bis zur Zollernalb und von Böblingen bis Göppingen) sogar auf eine FuE-Quote von knapp 8,4 Prozent bringen.

Und auch bei den Patentanmeldungen ist Baden-Württemberg spitze. Unter den zehn patentstärksten deutschen Wirtschaftsregionen befinden sich sechs im Südwesten.

Mit einer vagen Idee trat Thomas Leitz (rechts) an die Azubiwerkstatt heran. Herausgekommen ist eine Innovation, die Gehör-Beeinträchtigten wie ihm die Arbeit erleichtert.

Auch ländliche Gebiete können gut mithalten

Für ein bodenschatzarmes Land wie Deutschland sind eigene Innovationen unverzichtbar, um Wohlstand und Beschäftigung zu sichern und die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können, betonen die Autoren der Studie. Diese Innovationen kommen übrigens nicht nur von den Big Playern, sondern auch von Start-ups. Allein im Raum Rottweil/Schwarzwald-Baar/Tuttlingen wurden seit 2017 prozentual mehr Technologie-Start-ups gegründet als anderswo in Deutschland. Vermutlich gerade dort, weil der Raum Tuttlingen eine Hochburg der Medizintechnik ist. Nicht alles spielt sich also um die Landeshauptstadt herum ab, auch ländlichere Gegenden punkten mit schlauen Köpfen und guten Ideen.

Mit den guten Ideen fängt es oft schon in der Ausbildung an. Und setzt sich später fort. aktiv hat sich in der baden-württembergischen Metall- und Elektro-Industrie umgeschaut und stellt drei Unternehmen und ihre Innovationen vor.

1. Bizerba: Technik für die Shopping-Revolution.

Balingen. Selfservice-Kassen, wo man selbst die Waren scannt, anstatt in der Schlange zu stehen? Für viele schon ein alter Hut. Das als Waagenhersteller bekannte Traditionsunternehmen Bizerba hat aber noch viel mehr für das zeitsparende Einkaufen der Zukunft in petto.

Was der Kunde an der Frischetheke braucht, kann er an „MyOrder“-Stationen bestellen. Die Stationen sind digital mit der Thekenwaage vernetzt. Der Kunde kann also alles Weitere einkaufen und Wurst, Fleisch, Käse und Co. später fertig verpackt an der Theke abholen. An der Kasse muss er seine Einkäufe nicht mal mehr scannen – alles wird automatisch erfasst. Smarte Regale stoßen von selbst den Nachfüllprozess an, wenn sie sich leeren. Und sie dokumentieren, wie sich die Produkte je nach Wochentag, Uhrzeit und Wetter verkaufen. So helfen sie, ein Überangebot zu vermeiden, das irgendwann abläuft und im Müll landet.

2. Balluff: Azubis entwickeln ein völlig neues Gerät.

Neuhausen a. d. F. Ein Automatisierungstechniker bei Balluff, Thomas Leitz, hat eine Hör-Beeinträchtigung. „Ich habe mir eine Art Ampel gewünscht, die anzeigt, was um mich herum passiert“, sagt er. Denn: Ein spontaner Zuruf von hinten oder ein Kollege, der sich von der Seite nähert – solche Situationen können für Hörgeschädigte unangenehm sein und sie erschrecken. Der Mann fragte in der Balluff-Azubiwerkstatt: Könnt ihr eine Lösung entwickeln? Ja, warum nicht!

Auf der Grundlage des LED-Signallichts von Balluff, das in der Industrie zur Maschinenüberwachung eingesetzt wird, schufen die Azubis ein völlig neues Hilfsmittel. Es erkennt Bewegungen außerhalb des Sichtfelds und signalisiert per Wischgeste, aus welcher Richtung sich die Personen nähern. Da das Gerät in Fachkreisen auf Interesse stößt, plant das Team, eine Miniserie an Institutionen zu spenden.

3. Putzmeister: Innovation macht Baustellen leiser.

Aichtal. Ein Beton-Fahrmischer navigiert durch Darmstadt. Irgendwas daran ist ungewohnt. Ach, der ist ja total leise, kein Dröhnen, kein Brummen! Es ist der Elektro-Fahrmischer vom Betonpumpen-Hersteller Putzmeister aus Aichtal. Der ist zurzeit auf europaweiter Demo-Tour.

Kevin Eichele, Head of Business Development im Bereich eTrucks, erzählt: „Der Einstieg ins Lkw-Geschäft ist für uns etwas ganz Neues.“ Das Chassis kommt vom chinesischen Hersteller Sany, der Putzmeister im Jahr 2012 übernommen hatte. Die Montage findet in Aichtal statt, seit Jahresbeginn in Serie. „Dieses Spezialprojekt haben wir in unserer Innovation Factory gemanagt“, erzählt Eichele. Voll aufgeladen habe der E-Mischer im Arbeitseinsatz eine Reichweite von rund 150 Kilometern – „und im realen Einsatz zeigt sich, dass dies völlig ausreichend ist“.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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