Prachtvolle Fassade, herrlicher Garten – das schmucke Wasserschloss im Zentrum von Ahaus ist das Wahrzeichen der Stadt. Eigentlich aber hat der Ort längst ein weiteres. Weniger barock, dafür total digital: QR-Codes! Auf Kneipentischen, an Ruderbooten, Laternenpfählen – in Ahaus ist alles „vercodet“. Wer scannt, hat Zugang zu digitalen Angeboten.

Die Bürger finden’s top, im Rathaus jubelt man über den „Kulturwandel hin zur digitalen Gesellschaft“. Selbst im fernen Berlin staunen Experten. „Die städtische Digitalisierung ist in Ahaus exemplarisch gut gelaufen“, sagt Michael Pfefferle, Smartcity-Fachmann beim Digitalverband Bitkom.

Ein 40.000-Seelen-Ort ist die vielleicht digitalste Stadt Deutschlands? Was genau machen die da? Wieso ausgerechnet Ahaus?

Ein Teil der Antwort findet sich in einem futuristischen Bau am Stadtrand. Viel Glas, viel Stahl, abends schimmert die Fassade spacig blau: der Firmensitz der Ahauser IT-Firma Tobit. Fernab der pulsierenden Metropolen tüftelt man hier an innovativen Softwarelösungen, Plattformen und Systemen.

Und kokettiert auch mal mit dem Provinz-Etikett. „Wir sind hier in Ahaus zwar nicht am Ende der Welt, aber von hier kann man es schon ganz gut sehen“, ulkt „Tobit-Botschafter“ Dieter van Acken. Was witzig klingt, hat einen ernsten Kern. Auch Ahaus kämpft mit typischen Kleinstadtproblemen. Leerstände in der City, aufgegebene Gastrobetriebe, eingestellte Serviceangebote. „Wir müssen viel tun, um die Stadt attraktiv zu halten.“ Aber der Ansatz ist anders: „Wir setzen voll auf smarte, digitale Lösungen“, sagt van Acken. „Und setzen sie direkt um!“

Pommes und Pils per QR-Code

Beispiele? Ein leer stehendes Hotel in der Innenstadt stand vorm Abriss. Also übernahm Tobit das Haus. Seither checken Gäste mit dem Handy ein, Angestellte gibt es nicht. Ein paar Meter die Straße runter kann man 24 Stunden lang im digitalen Supermarkt einkaufen. Personal? Nö. Tür öffnen, bezahlen, alles per QR-Code. Ebenso im Pub an der Ecke, im Restaurant daneben, im digitalen Pop-up-Biergarten, beim Bootsverleih. Bestellung, Bezahlung, alles digital. Für die Betreiber verringert sich der personelle Aufwand – ein Segen in Zeiten des Fachkräftemangels. Beim Gast verkürzt sich die Wartezeit – und das alles funktioniert über eine einzige App.

„Die Ahauser sind es gewöhnt, damit digital zu buchen und zu bezahlen“, sagt van Acken. Manch einer mag sich zwar vorkommen wie in einem Testlabor. „Aber cool finden die Leute es schon, dass hier so viel digital funktioniert.“

Der Ruf von Ahaus als Digitalstadt wird auch andernorts vernommen. Pro Jahr führen van Acken und zwei weitere Tobit-Botschafter über 100 Gruppen, ob aus Flensburg oder München, durch Ahaus, darunter ganze Verwaltungen und staunende Bürgermeister. Nachahmung ist durchaus erwünscht. Mittlerweile finden sich in Ahaus erprobte Innovationen wie der digitale Stadtgutschein, der Kaufkraft vor Ort halten soll, in 60 deutschen Städten.

Stadt als Reallabor für Tobit-Software

„In Ahaus ergänzen sich Stadt und Industrie nahezu perfekt“, sagt Bitkom-Experte Michael Pfefferle. Tobit nutze die Stadt quasi als Reallabor. „Die entwickeln und testen neue Angebote und Software, Ahaus steigert seine Attraktivität, die Bürger freuen sich über neue Angebote, die es ohne Digitalität gar nicht gäbe.“

Digitalisierung nur Metropolen zuzutrauen sei sowieso verfehlt, glaubt Wolfgang Weiß. „Ländliche Räume sind oft pragmatischer, nicht selten dynamischer“, sagt der Geschäftsführer des „Zentrums für digitale Entwicklung“ im württembergischen Westhausen, das Kommunen in Digitaldingen fit macht.

„In Städten wie Ahaus fragt man sich klar, was man tun muss, um ein attraktiver Lebens- und Wirtschaftsraum zu bleiben“, sagt Weiß. „Mit echten digitalen Mehrwerten, die jeder Bürger erlebt und sofort versteht.“

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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