Die Chemie-Tarifrunde 2022 ist gestartet: Seit dem 2. März treffen sich Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaft IGBCE zu den Verhandlungen in den Regionen, anschließend auf Bundesebene. Ihr Ziel: ein Tarifabschluss für 580.000 Beschäftigte in 1.900 Betrieben der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Die wichtigsten Fragen zur Tarifrunde:

Was fordert die Gewerkschaft?

Am 22. Februar haben die Bundestarifkommission der IGBCE sowie die regionalen Gremien ihre Forderung für die Tarifrunde beschlossen. „Mehr Geld, Wertschätzung und Sicherheit“, sind die Forderungen überschrieben. Es geht um ein Plus bei Entgelten und Ausbildungsvergütungen, das oberhalb der Teuerungsrate liegen soll. Weitere Themen sind höhere Schichtzuschläge und eine Weiterentwicklung des Ausbildungs-Tarifvertrags. Roland Strasser, Verhandlungsführer der IGBCE Rheinland-Pfalz/Saarland, sagte: „Die Industrie kann die Preissteigerungen an ihre Kunden meist unproblematisch weitergeben. Die Beschäftigten aber müssen sie bezahlen, vor allem bei Energiepreisen und Lebenshaltungskosten. Unsere Kolleginnen und Kollegen erwarten deshalb zu Recht mehr Geld.“

Wie beurteilen die Arbeitgeber die Lage?

„Wir erleben eine Zeit gestörter Märkte und großer Umbrüche mit unklarem Ausblick. In dieser Ausnahmesituation können Standardinstrumente der Tarifpolitik nicht die richtige Lösung sein“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Chemie Rheinland-Pfalz, Bernd Vogler, die Forderungen. „In normalen Zeiten ist es bereits schwierig, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Aber nun müssen wir die größte Transformation in der Geschichte meistern. Also heißt es: Investieren statt verteilen.“

Die Chemieindustrie steht vor mehreren Umbrüchen

Die Dekarbonisierung, also die Abkehr von fossilen Rohstoffen, verändert Produkte und Verfahren gerade in der Chemieindustrie. Um sie zu gestalten, investieren die Unternehmen Milliarden etwa in den Umstieg von Gas auf Strom als Prozessenergie. Auch die Entwicklung innovativer Recyclingverfahren und von Materialien, die sich leichter in einem Wertstoffkreislauf führen lassen, ist aufwendig.

Viel Geld wird in die Digitalisierung fließen müssen, um den Chemiestandort Deutschland im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu halten.

Im demografischen Wandel investieren die Unternehmen darin, Fachkräfte zu finden und die bestehenden Beschäftigten weiterzuqualifizieren.

Auch die EU-Chemikalienstrategie stellt die Chemie vor Herausforderungen: Stoffgruppen könnten verboten werden, ganze Wertschöpfungsketten stehen durch die geplante Regulierung auf dem Spiel.

Und was ist mit der Inflation?

Seit 2010 sind die Tariflöhne in der Chemie um fast 30 Prozent gestiegen – die Preise aber nur um 20 Prozent. Einen Nachholbedarf gibt es also nicht. Hinzu kommt: Die Preissteigerungen treffen die Unternehmen ebenfalls. Rohstoffe etwa haben sich enorm verteuert. Diese Mehrkosten können viele Firmen nicht einfach an Kunden weitergeben.

Darauf wies zuletzt auch Hans Oberschulte hin, BASF-Personalchef und designierter Verhandlungsführer der Arbeitgeber. Im Interview mit der „Rheinpfalz“ forderte er deshalb einen „fairen Mittelweg“.

Zudem sehen die meisten Experten die Teuerung als kurzfristiges Phänomen: Sie erklärt sich etwa dadurch, dass im Vergleichszeitraum 2020 die Mehrwertsteuer ermäßigt war. Solche Effekte werden auslaufen – Tariferhöhungen aber bedeuten dauerhafte Mehrbelastungen für die Unternehmen, die gleichzeitig investieren und höhere Preise sowie Engpässe in der Lieferkette verkraften müssen.

Die Umsätze sehen aber doch gut aus?!

Die genannten Umbrüche und weltweit gestörten Lieferketten verunsichern die Unternehmen und erschweren Planungen. Es ist nicht absehbar, wann sich die Lage normalisiert. Umsatzsteigerungen gibt es zwar, doch die Gewinne bleiben aufgrund hoher Kosten unter Druck. Auch wichtige Kundenindustrien wie die Autobauer steuern in eine ungewisse Zukunft, mit unwägbaren Folgen für Zulieferer etwa aus Chemie- und Kunststoffindustrie. Manche Pharmaunternehmen wiederum erleben einen Corona-Boom, was zwar die Zahlen für die gesamte Branche hochzieht – aber nicht von Dauer sein wird. Unterm Strich stehen Teilbranchen und Firmen sehr unterschiedlich da. Ein Tarifvertrag muss aber für alle tragbar sein.

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