Wie hältst du’s mit dem Wasserstoff? In einem Online-Fragebogen müssen gerade viele Unternehmen an der Saar diese Frage beantworten. Erstellt hat ihn die saarländische Wasserstoffagentur. Sie will herausfinden, ob und was die Firmen im Land in Zukunft mit dem klimafreundlichen Energieträger planen. Nur wenige sind schon so weit wie die Stahl-Industrie: Die will 2027 Kohle durch Wasserstoff alias H2 ersetzen. Doch auch viele Mittelständler bereiten den Umstieg von fossilen Energieträgern auf H2 vor – oder entwickeln sogar schon Produkte für die Wasserstoffwirtschaft. Firmen bei dieser Transformation zu begleiten, das ist der Job von Bettina Hübschen. Sie ist die Wasserstoffbeauftragte des Saarlands, aktiv hat sie besucht.

Erklären Sie mal einem Laien: Wozu lässt sich Wasserstoff in Unternehmen nutzen?

Prinzipiell für alles, für das man jetzt fossile Brennstoffe nimmt. Nehmen Sie die Stahl-Industrie: Die befeuert bislang Hochöfen mit Koks, um Eisenerz in Eisen umzuwandeln. Dabei entsteht viel CO2. Die Alternative dazu – und eigentlich die einzige – ist die sogenannte Direktreduktion mit Wasserstoff. Dabei wird kein CO2, sondern nur Wasserdampf freigesetzt. Andere Unternehmen können H2 überall dort einsetzen, wo sie bisher Erdgas oder Kohle nutzen, zum Beispiel zum Erzeugen von Wärme in Industrieprozessen. Und natürlich in der Mobilität statt Diesel oder Benzin.

Das Saarland hat sich dazu eine Strategie verordnet. Der stolze Titel: „Saarland 2030: Auf dem Weg zum Wasserstoffland“. Wie weit sind wir da denn schon?

Schon ein gutes Stück weit! Es laufen gerade viele Projekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das fängt bei der Wasserstoff-Erzeugung an: In Völklingen zum Beispiel entsteht aktuell der Hydrohub der Firma Iqony. Das ist ein riesiger Elektrolyseur, der aus erneuerbaren Energien grünen Wasserstoff erzeugen und ab 2027 an den Start gehen soll. Im Norden des Saarlands, in Perl, soll ein ähnliches Projekt starten: Dort plant die französische Firma Lhyfe eine Elektrolyseanlage, die bis zu 70 Megawatt Leistung erzeugen soll. Und RWE plant eine Anlage in der Nähe der Dillinger Hütte, mit der künftig die Hüttenwerke versorgt werden sollen.

Erzeugung ist das eine, der Transport über Pipelines das andere. Wie geht es hier voran?

Im Saarland übernimmt der Netzbetreiber Creos den Ausbau. Und der ist bereits emsig dabei, Erdgas-Leitungen zu identifizieren, die in Zukunft auf H2 umgestellt werden können. Daneben gibt es das deutsch-französische Projekt mosaHYc, das ein Inselnetz für Wasserstoff aufbaut – also eins, das unabhängig vom Rest Deutschlands funktioniert. Dazu wird eine Erdgas-Pipeline auf französischer Seite auf H2 umgestellt, von der Leitungen auf die deutsche Seite abgehen sollen. Das Netz wird ab 2027 die Hersteller mit den industriellen Abnehmern im Land verbinden.

Von denen gibt es bisher ja nur wenige. Ihre Wasserstoffagentur will jetzt herausfinden, welche Firmen in Zukunft wie viel H2 brauchen. Wie gehen Sie da vor?

Es gibt einen Online-Fragebogen, in dem Firmen ihre aktuellen Energieverbräuche angeben und über ihre Pläne berichten können. Schon jetzt zeigt sich: Es gibt viele, die für sich allein nur wenig Wasserstoff bräuchten. Zusammen mit anderen in der Region würde sich eine Versorgung aber lohnen. Ziel ist, alle Bedarfe zu identifizieren, um so die Netzplanung voranzubringen.

Haben denn schon viele Firmen an der Saar das Thema für sich entdeckt?

Tatsächlich mehr, als man denkt! Die Unternehmen sind oft weiter als die Politik. Viele denken schon heute darüber nach, mit welchen Produkten sie übermorgen auf den Markt gehen wollen. Gerade die vielen Firmen der Zulieferindustrie im Saarland sind intensiv dabei, Komponenten für die künftige Wasserstoffwirtschaft zu entwickeln.

Das wird viele Jobs verändern. Spüren Sie denn eine Veränderungsbereitschaft bei den Firmen?

„Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem sich für viele Firmen viel entscheidet."

Bettina Hübschen, Geschäftsführerin der Wasserstoffagentur

Auf jeden Fall spüre ich in meinen Gesprächen mit den Unternehmen viel Aufbruchsstimmung. Aber auch die Sorge, dass das aktuelle Produktportfolio in Zukunft nicht mehr gebraucht werden könnte – und der Markt noch nicht reif ist für das Neue. Wir stehen eben an einem Wendepunkt, an dem sich für viele Unternehmen viel entscheidet.

Wie machen Sie da den Firmen Mut?

Indem ich sage: Der Wasserstoff wird kommen! Die Wasserstoffwirtschaft wird aufgebaut werden! Deshalb wird es in Zukunft neue Bauteile und Komponenten brauchen – ebenso wie Leitungen und Anlagen, die Wasserstoff produzieren. Lange klang das sehr theoretisch. Jetzt, wo die Dillinger Hütte den Milliarden-Förderbescheid hat und anfängt, eine Direktreduktionsanlage für grünen Stahl zu bauen, wird es endlich greifbar.

Bei der Mobilität aber noch nicht: 2017 gab es im Saarland die erste H2-Tankstelle, seither sind nicht viele dazugekommen …

Trotzdem wird Wasserstoff bei der Mobilität eine direkte Rolle spielen, schon wegen des steigenden Strombedarfs. Elektroautos brauchen Strom, der bei uns erzeugt wird. Grün produzierten Wasserstoff als Autotreibstoff kann man dagegen von überall auf der Welt importieren – umgewandelt in Ammoniak per Schiff. So ließe sich der Bedarf an lokal produziertem Strom reduzieren. Bislang scheitert das aber noch an hohen H2-Preisen.

Warum sind die Fahrzeug-Hersteller noch so zurückhaltend beim Thema H2?

Das liegt an der mangelnden Verfügbarkeit. Zum einen sind die Mengen an grünem Wasserstoff noch nicht da. Zum anderen ist es schwer, zwei Infrastrukturen parallel aufzubauen – E-Ladesäulen und H2-Tankstellen.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen, damit die Transformation schneller vorangeht?

Ich wünsche mir, dass die Politik den Hochlauf nicht so kompliziert macht. Zum Beispiel durch die sehr strengen Auflagen der EU, wann Wasserstoff „grün“ genannt werden darf. Das macht die Energie unnötig teuer und erschwert die Umstellung. Oft steht sich die Politik selbst im Weg, wenn sie direkt die 100-Prozent-Lösung anstrebt: Wir sollten einfach mal anfangen.

Zur Person

Bettina Hübschen, geboren in Neunkirchen/Saar.

  • Studium der Metallurgie an der RWTH Aachen.
  • Stationen in einer Unternehmensberatung und in der Aluminiumindustrie.
  • 15 Jahre lang bei thyssenkrupp Steel in Duisburg, zuletzt mit ihrem Team im Bereich Dekarbonisierung zuständig für die Wasserstoffstrategie.
  • Seit Mai 2023 Geschäftsführerin der saarländischen Wasserstoffagentur.

Wasserstoff-Projekte im Saarland

Elektrolyse, Netze, Bauteile: Viele Unternehmen sind schon auf dem Weg ins Wasserstoffland.

  • Elektrolyse-Anlagen: Produziert wird Wasserstoff in Elektrolyseuren. Das sind Anlagen, in denen Wasser (H2O) mithilfe von Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) aufgespalten wird. Zwei riesige Elektrolyseure sind gerade in Völklingen und Dillingen geplant: RWE will in unmittelbarer Nähe der Dillinger Hüttenwerke eine Anlage mit 100 Megawatt (MW) Leistung bauen. Und Iqony als Teil des STEAG-Konzerns errichtet an ihrem Kraftwerkstandort Völklingen-Fenne (Foto) einen Elektrolyseur mit 55 MW. Er soll ab 2027 grünen Wasserstoff liefern.
  • Deutsch-französisches Netz: Im grenzüberschreitenden Projekt mosaHYc– der Name mosaHYc steht für „Moselle-Saar-Hydrogen-Conversion“ – soll ein H2-Inselnetz entstehen, das Produzenten und Abnehmer in den Regionen Grand Est (Frankreich) und Saarland verbindet. Die deutsche Creos und die französische GRTgaz bauen dafür eine 90 Kilometer lange Infrastruktur. Experten schätzen, dass die Regionen dank der neuen Pipelines mehr als drei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können.
  • Bosch hat sein Homburger Werk zum Wasserstoff-Kompetenzzentrum ernannt: Hier produziert, speichert und nutzt der Konzern bereits seinen eigenen grünen Wasserstoff. Auch Komponenten für die Wasserstoff-Mobilität werden hier entwickelt – Tankventile etwa oder sogenannte Stacks, die Herzstücke von Elektrolyseuren. Sie sollen 2025 in Serie gehen
Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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