Schmallenberg. Mit spitzen Fingern zieht Elke Wiederhold Maschen auf die winzigen Zähne einer Kettelmaschine: „Für so eine Naht brauche ich dann etwa 30 Minuten“, erklärt die 42-Jährige, die erst seit Kurzem Modenäherin ist. Kira Hennecke beobachtet die Arbeit der Kollegin: „Es ist wichtig, die richtige Reihe zu treffen – sonst passt das Muster an den Nähten nicht zusammen“, sagt die Auszubildende zur Modeschneiderin.

aktiv trifft die beiden im Nähsaal des Unternehmens Falke in Schmallenberg. Wiederhold und Hennecke sind dort nicht „nur“ Kolleginnen, dieses Duo zeichnet eine ganz besondere Zusammenarbeit aus. „Ohne Kira hätte ich die Ausbildung nicht geschafft! Sie hat mich immer wieder aufgebaut“, sagt Wiederhold dankbar.

Die Bewerbung kommt aus Australien, das entscheidende Gespräch ist ein Video-Chat

Gemeinsam haben die beiden im Sommer 2020 ihre Ausbildung im Sauerland begonnen. Hennecke hat da gerade das Abi in der Tasche, entscheidet sich dann aber gegen ein angedachtes Studium: „Ich wollte zunächst etwas Praktisches machen.“ Ins Berufsleben schnuppern, sich ausprobieren.

„Es gefällt mir, dass mit jedem Nadelstich etwas Neues entsteht“

Kira Hennecke, angehende Modeschneiderin

Nach einem Praktikum bei Falke entscheidet sie sich, Modenäherin zu werden: „Es gefällt mir, dass mit jedem Nadelstich etwas Neues entsteht.“

Bei Wiederhold liegt der Fall völlig anders. Die Bewerbung der alleinerziehenden Mutter und Friseurin kommt aus Australien – und ist ein regelrechter Hilferuf. „Ich bin 2018 mit meiner Familie von Schmallenberg nach Australien ausgewandert, wir wollten dort neu anfangen.“ Aber 2020 stirbt ihr Mann, plötzlich steht sie so gut wie mittellos da, mit zwei kleinen Kindern und ohne dauerhaftes Visum. „Ich musste binnen Wochen das Land verlassen, wegen der damals sehr strengen australischen Coronaregeln.“ In dieser Not bewirbt sie sich online bei Falke und verweist auf eine frühere Bewerbung, die noch im Archiv der Firma schlummert. Mit Erfolg. „Mein Bewerbungsgespräch habe ich per Video-Chat geführt“, erzählt Widerhold. Und es klappt!

„Mein Bewerbungsgespräch habe ich per Video-Chat geführt“

Elke Wiederhold, Modenäherin

Nur sechs Wochen nach ihrer Rückkehr aus der Ferne startet sie also in Schmallenberg ihre zweite Ausbildung: als Umschülerin zur Modenäherin, und zwar in Teilzeit. „Durch diese Umschulung konnte ich mein Leben neu aufbauen.“ Doch zunächst muss die Mutter noch eine Hürde nehmen: „Ich hätte zum Blockunterricht in die Berufsschule der Modenäher in Bayern fahren müssen. Mit zwei kleinen Kindern geht das aber nicht.“ Zwar schaffte es Falke, sie vom Unterrichtsbesuch zu befreien. Doch wie soll Wiederhold dann die Theorie lernen? Sie ist kurz davor, einen Rückzieher zu machen …

Für ihr Engagement werden die beiden Frauen ausgezeichnet

„… und da bin ich eingesprungen“, erinnert sich die Auszubildende Kira Hennecke. Mit dick gefüllten Ordnern kehrte sie jedes Mal vom Berufsschulunterricht aus Bayern zurück. „Wir haben uns über Monate zu zweit durch den Stoff gekämpft, zusammen mit unserer Ausbilderin Heike Neuner.“ Die junge Kollegin habe ihr sehr geholfen, betont Wiederhold: „Mit ihr zu lernen, hat mich immer wieder motiviert.“

Vor wenigen Monaten hat sie die Umschulung erfolgreich abgeschlossen. Hennecke wiederum macht bald ihre Abschlussprüfung zur Modeschneiderin. Die ungewöhnliche Zusammenarbeit der beiden ist auch anderswo aufgefallen. Vor Kurzem wurde das Duo beim Nachwuchspreis „Next“ ausgezeichnet: dritter Platz für Kira Hennecke – und der Sonderpreis für Elke Wiederhold. Diese Preise gehen an Nachwuchskräfte der Textil- und Bekleidungsindustrie, die außergewöhnliche Leistungen gezeigt haben.

Beide arbeiten derzeit im Nähsaal nebeneinander. Für Wiederhold eine gute Gelegenheit: „Vielleicht kann ich Kira jetzt einen Teil der Unterstützung zurückgeben, die sie mir in den letzten Monaten gegeben hat.“

Falke: Familienunternehmen seit fast 130 Jahren

  • 3.119 Mitarbeiter hat das Unternehmen weltweit
  • 236 Millionen Euro Umsatz erlöste Falke im Jahr 2021
  • 60 Staaten – so global sind die Sauerländer vertreten
Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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