Velen. Hunderte von dünnen Fäden hält Bastian Schmeißer ganz locker in den Händen. Sie bilden den Anfang einer neuen Kette, der mit dem Rest auf der bald leerlaufenden Webmaschine verbunden werden muss. „Andrehen nennt man das, was ich hier gerade mache“, erklärt der junge Mann. So kann der Webvorgang bald erneut starten.

aktiv ist an diesem Tag zu Besuch im Websaal der Firma Velener Textil, um sich mit angehenden Fachkräften zu unterhalten. Darunter eben der 21-jährige Bastian, für den das Andrehen noch neu ist: „Das habe ich erst einmal gemacht, natürlich mithilfe eines Kollegen“, sagt der angehende Maschinen- und Anlagenführer Textil. Aber er traut sich diese Arbeit zu. „Weil ich hier Hilfe bekomme, jemanden ansprechen kann und mir die Arbeit erklärt wird.“

Zusammen mit seinem Azubi-Kollegen Azad Alp hat er im August 2022 mit der Ausbildung in dem Textilbetrieb begonnen. Die beiden jungen Männer sind auf ganz unterschiedlichen Wegen in den Betrieb gekommen. „Mein Bruder hat hier gearbeitet und mir den Tipp gegeben, mich zu bewerben“, sagt der 19-jährige Azad, der an der örtlichen Realschule seinen Abschluss gemacht hat. Nach einem Praktikum im letzten Sommer war dann für ihn klar: „Das ist das Richtige.“

Im Studium fehlte ihm die Praxis – die hat Bastian jetzt jeden Tag

Bastian hingegen setzte zunächst auf sein Fachabitur, studierte zwei Semester Informatik. Die fanden allerdings coronabedingt fast nur vor dem Bildschirm statt. „Mir fehlten die Praxis und der Kontakt zu Menschen.“ Also orientierte er sich um und kam auf Umwegen zur Velener Textil. Praxis und Gelegenheit zum Austausch hat er jetzt reichlich im Arbeitsalltag. Der dreht sich natürlich nicht nur ums Andrehen einer Kette oder das Legen neuer Fadenkreuze. Die beiden Auszubildenden durchlaufen ganz unterschiedliche Bereiche des Betriebs.

Die Warenkontrolle ist ebenso dabei wie die Schlicht- und Zettelmaschinen, das Weberei-Vorwerk und schließlich die Weberei. „Der Ausbilder bespricht mit uns, wo wir in den nächsten Wochen hinkommen, wir können auch Wünsche äußern“, sagt Azad.

Leon nähert sich dem Ende der Lehrzeit – und denkt schon daran, seinen Meister zu machen

Teamwork ist dabei selbstverständlich. Stimme zum Beispiel etwas am Lager einer Webmaschine nicht, ist Azubi-Kollege Leon Haudt schnell zur Stelle. Der angehende Industriemechaniker nähert sich dem Ende seiner Ausbildung und ist zusammen mit seinem Kollegen Florian Wagenfort, der eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik macht, schon an vielen Orten im Betrieb unterwegs.

„Was am Tag auf uns zukommt, das sehe ich morgens bei der Arbeitsbesprechung. Es geht immer darum, die Maschinen am Laufen zu halten“, erklärt der 18-jährige Leon. Deshalb sägt, dreht, fräst und feilt er in der unternehmenseigenen Schlosserei zum Beispiel an Walzen, bespannt sie mit neuem Filz oder tauscht durch Maschinenvibration beschädigte Lager aus. Die Azubis halten Kontakt zueinander und tauschen sich aus, auch wenn sie in unterschiedlichen Abteilungen arbeiten. Für alle beginnt der Arbeitstag um sieben Uhr morgens. „Ich bin gerade in der Weberei, da kontrolliere ich dann zunächst, ob die Webmaschinen mit Garn bestückt werden müssen, schließlich sollen sie nicht leerlaufen“, so Azad. Ein Geselle und Azad kümmern sich um 93 Webmaschinen: „Zum Glück ist immer der Geselle da, den ich fragen kann, wenn ich etwas noch nicht weiß.“

„Ich kann selbstständig etwas tun und bei Problemen nachfragen. Das gibt mir Sicherheit und motiviert.“

Bastian Schmeißer, Azubi

Auch Bastian sieht das so: „Es ist jemand da, der einem über die Schulter schaut. Ich kann selbstständig etwas tun und bei Problemen nachfragen. Das gibt mir Sicherheit und motiviert.“

Mittlerweile haben Azad und Bastian erfahren, was aus den gewebten Stoffen wird. „Am Anfang war das für mich nur weiße Baumwolle“, sagt Azad. „Jetzt weiß ich, dass daraus Schutzkleidung für die Feuerwehr wird oder Bettwäsche oder Textilien, die vor Sonneneinstrahlung schützen.“ Während die beiden jetzt den Abschluss als Maschinen- und Anlagenführer anpeilen, denkt Leon weiter: „Wenn ich nach dem Abschluss einige Jahre Berufserfahrung habe, will ich hier meinen Meister machen.“

Velener Textil: Seit 80 Jahren Gewebe und Garne

  • 120 Beschäftigte hat das Familienunternehmen
  • 93 Greifer- und Luftdüsenwebmaschinen sind im Einsatz
  • 10 Millionen Meter textile Flächen entstehen pro Jahr
Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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