Billerbeck. Dietmar Dirks hat als Firmenchef jede Menge auf dem Schreibtisch. Trotzdem telefoniert auch noch häufig mit einem Armenier, der in Russland lebt. „Er arbeitet dort als Textiltechniker“, sagt der Geschäftsführer und Gesellschafter von Strumpf Dirks in Billerbeck. Wegen der aktuellen Lage wolle der 26-Jährige Russland verlassen. Seit Monaten bemüht sich Dirks um seine Einwanderung, reicht Unterlagen bei deutschen Behörden ein. „Ich habe Videos, die zeigen, wie er an den neuesten Maschinen arbeitet“, sagt Dirks. Trotzdem ist die Einwanderung des Armeniers noch nicht bewilligt.

Und er ist nicht die erste ausländische Fachkraft, um die sich der Chef persönlich bemüht. Von seinen 32 Mitarbeitern sind 14 aus dem Ausland nach Billerbeck gekommen. Der Erste war 2015 ein Textiltechniker aus Serbien, der sich per Mail beworben hatte. Dirks half ihm bei der Einwanderung, kümmerte sich um Wohnung und Weiterbildung. Ein Jahr später holte der Mann seine Familie nach. „Seine Frau arbeitet heute bei uns in der Näherei“, sagt der Unternehmer. „Ohne Fachkräfte aus Ost- und Südosteuropa würde es unseren Betrieb heute nicht mehr geben.“ So wie Strumpf Dirks suchen viele Betriebe nach Fachleuten für die Produktion. Die ganze Textilbranche hat Probleme, Maschinenführer und Produktveredler zu finden. Auch, weil der Nachwuchs knapp ist: Gab es 2010 in Deutschland rund 720 Azubis in Textiltechnik und Produktion, waren es 2020 weniger als 400.

„Ohne Fachkräfte aus Ost- und Südosteuropa würde es unseren Betrieb heute nicht mehr geben.”

Dietmar Dirks, Unternehmer

Auch Hirsch Natur aus Laer greift deshalb in der Produktion auf ausländische Fachkräfte zurück. In der Strickerei des 36-Mann-Betriebs arbeiten schon acht Kollegen, die wegen des Jobs eingewandert sind. „Viele Textilwerke wurden in den letzten Jahrzehnten ins Ausland verlegt. Deshalb findet man dort jetzt das gut qualifizierte Personal, das uns in Deutschland fehlt“, sagt Geschäftsführerin Sabine Brüggemann.

Mittelständler wie Wilhelm Wülfing fokussieren sich trotzdem erst einmal auf den deutschen Arbeitsmarkt. „Die Suche ist aufwendiger geworden, aber wir wollen das Potenzial vor Ort ausschöpfen“, sagt Marketing-Leiterin Beata Rauer. So schalte man Job-Anzeigen rund um die Standorte Borken und Steinfurt und setze auf Quereinsteiger. „Auch wenn wir nicht aktiv im Ausland suchen: Einwanderern stehen bei uns alle Türen offen“, sagt Rauer. Schon jetzt hätten 40 Prozent der Kollegen einen Migrationshintergrund.

So sind Neuankömmlinge bei Betrieben zwar hochwillkommen. Die gesetzlichen Hürden für ihre Anerkennung sind aber weiterhin hoch. Hier sollte das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 eigentlich entlasten. Allerdings hakt es im Detail: Unternehmer wie Dirks berichten von langen Wartezeiten für Visatermine und komplizierten Prozessen bei der Anerkennung von Abschlüssen – besonders in Berufen, die im Rahmen einer dualen Ausbildung erlernt werden. Denn die gibt es anderswo nicht.

Die Bundesregierung will das Gesetz nun nachbessern. Erste Ansätze dazu gibt es bereits: zum Beispiel den Vorschlag, dass Fachkräfte auch dann kommen dürfen, wenn ihr Berufsabschluss noch nicht anerkannt ist, sie aber Erfahrung im Job vorweisen können. „Ich würde mir wünschen, dass mehr auf die Einschätzung von uns Praktikern gehört wird“, sagt Dirks. Allein an den Videos des Textiltechnikers aus Russland könne er erkennen: „Für uns wäre er ein Top-Mitarbeiter.“

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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