Es ist wieder so weit: Hunderttausende junge Menschen haben in den letzten Wochen mit dem Start ihrer Ausbildung einen neuen Lebensabschnitt begonnen – oder eben auch nicht! Denn immer öfter bleiben Lehrstellen unbesetzt, gerade auch in der Textil- und Bekleidungsbranche.
So etwa beim Heimtextilien-Hersteller Wülfing in Borken. „Trotz intensiver Suche ist es uns leider nicht gelungen, die Ausbildungsplätze im technischen Bereich zu besetzen“, sagt Marketingleiterin Beata Rauer. Andere Firmen hatten mehr Glück beim Werben um den Nachwuchs. Bei der Spinnerei und Weberei Velener Textil kann Azad Alp gleich drei neue Azubi-Kollegen begrüßen. Der junge Mann absolviert dort seit dem Vorjahr eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer in der Weberei. „Die Betriebe kämpfen hart um die Gunst der jungen Leute“, sagt Detlef Braun dazu, Prokurist an der Textilakademie in Mönchengladbach. „Mein Eindruck aus vielen Gesprächen ist, dass immer mehr Unternehmen überhaupt keine qualifizierten Bewerbungen mehr erhalten.“
„Die Betriebe kämpfen hart um die Gunst der jungen Leute“
Detlef Braun, Prokurist an der Textilakademie
Textilakademie meldet über 100 Neuzugänge
Die Akademie ist eng mit der Fachhochschule Niederrhein verbunden und gilt seit ihrer Eröffnung 2018 als eine der modernsten Schulen in der Branche. Lehrlinge aus acht Bundesländern absolvieren dort ihren Berufsschulunterricht im Block. „Wir hatten zum 1. August 100 Neuanmeldungen, insgesamt besuchen knapp 250 Auszubildende aus neun textilen Ausbildungsberufen die Akademie“, sagt Braun. „Das ist schon ganz ordentlich.“ Bundesweit absolvierten im Vorjahr mehr als 1.100 junge Leute eine Lehre in einem der über 20 textilen Ausbildungsberufe, so die neueste Ausbildungsstatistik der DIHK. Die meisten erlernen den Beruf des Produktionsmechanikers, gefolgt von der Modenäherin.
Betriebe zeigen den textilen Berufsalltag – auch auf Tiktok
Dass die Nachwuchssuche so schwierig geworden ist, liegt nicht nur am demografischen Wandel, also der gesunkenen Zahl an Schulabgängern. Sondern auch am Image der Branche, wie Braun erklärt: „In vielen Köpfen existiert die textile Produktion in Deutschland kaum noch.“ Dabei arbeiten hierzulande rund 120.000 Menschen in der Branche – und viele von ihnen arbeiten damit zugleich an Zukunftsthemen.
Im Ausbildungsbetrieb von Azad Alp etwa werden unter anderem Garn- und Gewebereste recycelt: Stichwort Kreislaufwirtschaft. Andere Textilunternehmen verarbeiten und veredeln Stoffe, die für den Bau von Windrädern benötigt werden: Stichwort Energiewende. Aber das ist zu wenig bekannt: „Wir müssen sichtbarer werden! Sichtbarer werden mit dem, was wir tun, und dem, was wir anbieten“, folgert Braun.
Auch deshalb gehen viele Betriebe in die örtlichen Schulen, bieten Praktika an, geben auf Facebook, X oder Tiktok Einblicke in den textilen Berufsalltag. Auch das Azubi-Portal des Branchenverbandes textil + mode hilft bei der Berufswahl: go-textile.de. Dort stellen Azubis in kurzen Clips ihre eigene Ausbildung vor, ergänzt durch Infos zur Entlohnung und zu den Karrierechancen. Die können sich übrigens durchaus sehen lassen.
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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