Wuppertal. Im Schülerlabor der Uni Wuppertal steuert der Student Marc Kleinegrauthorff ein faszinierendes Experiment: Eine UV-Lampe bestrahlt zunächst eine Flasche mit gelber Flüssigkeit. Die färbt sich in der „Photo-Blue-Bottle“ allmählich blau – und es blubbert Wasserstoff heraus. Das Gas betreibt die Brennstoffzelle eines Spielzeugautos, das flott ein paar Runden dreht. Spielerisch erlebt man so, was Licht alles kann. Denn: „Wir müssen lernen, Licht für chemische Prozesse zu nutzen“, fordert Michael Tausch, emeritierter Professor für Chemie und ihre Didaktik. „Und wenn die Jugend neue Technologien nutzen und erforschen soll, muss sie früh etwas darüber lernen.“
Photochemie sollte in den Lehrplänen Pflichtstoff sein
„Licht“, schwärmt der Chemiker beim aktiv-Besuch, „ist die Energieform, die das Leben auf dem Planeten antreibt.“ Seine Vision: Licht avanciert in den nächsten Dekaden zur wichtigsten, saubersten und günstigsten Energieform! Noch treiben Wärme oder Strom chemische Reaktionen in Laboren und Reaktoren an. Aber bei der Produktion von umweltfreundlichem Wasserstoff, der für die Eingrenzung des Klimawandels dringend benötigt wird, gehen die Forscher neue Wege, gewinnen ihn im Labor bereits mithilfe von Sonnenlicht und Katalysatoren. „Ich übertrage diese Idee in neue Experimente für die Lehre“, erklärt der 72-jährige Professor.
Leider aber schrieben die Lehrpläne die Photochemie nicht als Pflichtstoff vor, beklagt er, im Studium für angehende Lehrkräfte sei sie kaum ein Thema. Den Sonnenstrahlen den gebührenden Stellenwert in den Köpfen zu verschaffen – das sieht der Professor im Unruhestand, der weiter über Photoprozesse in der Lehre der MINT-Fächer und innovative Lehrpläne grübelt, als seine dringende Aufgabe.
Experimente kostenlos im Download
So hat er zum Beispiel zusammen mit seinen Doktoranden eine digitale Materialiensammlung für Experimente mit Licht erstellt, die man sich unter chemiemitlicht.uni-wuppertal.de kostenlos aus dem Netz holen kann. Einige Experimente sind schon für Kita und Grundschule geeignet, andere für Leistungskurs und Studium. Die Versuche kommen ohne Bunsenbrenner und schädliche Reagenzien aus: Eine LED-Taschenlampe oder das Sonnenlicht sind die Energiequellen. Es gibt Videos und Aufgabenblätter für verschiedene Alters- und Bildungsstufen. Man lernt etwas über den Auf- und Abbau von Ozon, über Photosynthese oder Solarzellen. Und erfährt, wie selbsttönende Sonnenbrillen funktionieren, wie UV-Licht Zahnfüllungen härtet und wie organische Leuchtdioden (kurz OLED) die hochauflösenden Farbdarstellungen in Fernsehern oder Smartphone-Displays ermöglichen.
Kinder bekommen auch Material für Experimente zu Hause, etwa Stücke einer „intelligenten“ Folie. Tausch erklärt: „Legt man ein Blatt auf diese Folie und beides in die Sonne, erhält man ein Negativbild vom Blatt. Hält man Farbfilter darüber, lässt sich herausfinden, welche Lichtfarbe die Farbänderung verursacht.“ Man könne die Folie auch in den Kühlschrank legen und schauen, wie die Temperatur die Reaktion beeinflusst.
Videos für den Präsenzunterricht
Die Videos aus der Materialiensammlung halfen im Lockdown, sind aber auch im Präsenzunterricht gefragt. Denn für jede Vorführung müssten Chemielehrer eine Gefährdungsbeurteilung schreiben, sagt Tausch, der selbst lange an einer Gesamtschule unterrichtet hat. „Chemie ist aber ein Experimentierfach und soll auch ein solches bleiben: Schülerinnen und Schüler lieben es, selbst etwas auszuprobieren.“
Sein Wissen über die Photochemie gibt der Professor auch in Studienseminaren für Referendare, in Lehrerfortbildungen und in den Schülerlaboren weiter. „Die Lehrpläne zu ändern, dauert zu lange“, sagt er. „Ich will aber keine Zeit verlieren, sondern die Innovation des Chemieunterrichts beschleunigen.“
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Während meines Studiums und der Forschung am Institut für Organische Chemie in Bukarest habe ich auch am deutschsprachigen Gymnasium unterrichtet. In Deutschland habe ich als Lehrer und in der Lehrerfortbildung gearbeitet, bis der Ruf an die Uni kam.
Was reizt Sie am meisten?
Jungen Menschen etwas Sinnvolles beibringen, das treibt mich ständig an.
Worauf kommt es an?
Man muss überzeugende Experimente und Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung erschließen. Diese gilt es dann, medial zu gestalten und in der Lehre zu vermitteln.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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