Berlin. Das ist die Zukunftsvision: Um mehr als 1,5 Grad Celsius soll sich der Blaue Planet Erde nicht erwärmen gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung. Damit das klappt, will Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein, die Europäische Union bis 2050.

Das erfordert riesige Anstrengungen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu mindern, sagt Experte Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Fakt ist aber auch: Klimaneutral werden, das schaffen wir nur, wenn wir der Atmosphäre auch in großem Stil CO2 entziehen und dauerhaft entsorgen können.“

Alternative, wenn CO2-Ausstoß nicht auf null zu bringen ist

Das könne zum Beispiel nötig werden, wenn es Branchen wie etwa der Zement-Industrie oder der Landwirtschaft nicht gelingt, ihre Emissionen ganz auf null zu bringen, erklärt Schenuit, der bei der Stiftung zur CO2-Entnahme forscht: „Dann müssen wir diese Rest-Emissionen durch den Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder ausgleichen, damit Deutschland unter dem Strich klimaneutral ist.“

Auch die EU und der Weltklimarat halten den Entzug von CO2 für erforderlich. Experten der US-Wissenschaftsakademie NAS schätzen, dass nach 2050 global jährlich mindestens zehn Milliarden Tonnen Klimagas der Atmosphäre entnommen und weggespeichert werden müssen – 13-mal so viel, wie Deutschland 2020 emittierte. Das braucht eine regelrechte Klimaschutz-Industrie.

„Klar: Unser Hauptziel muss bleiben, immer weniger Kohlendioxid auszustoßen“, fordert Schenuit. „Aber wir müssen auch CO2-Entnahme-Techniken testen und weiterentwickeln. Und wir müssen regeln, wer die Kosten trägt.“

aktiv erklärt im Folgenden, welche Verfahren es gibt und wie viel sie bringen. Wie viel Klimagas dadurch pro Jahr der Atmosphäre entzogen werden kann und was das kostet, haben der Weltklimarat und die US-Wissenschaftsakademie NAS ermittelt.

    CO2-Entnahme ganz natürlich: Wälder aufforsten

    Mehr Bäume pflanzen ist die einfachste Methode zum Klimaschutz. Bäume nehmen beim Wachsen Kohlendioxid aus der Luft auf und bilden damit Holz, Blätter, Wurzeln. So ist das CO2 langfristig gespeichert. Mit zunehmendem Alter lässt die CO2-Aufnahme aber nach. Alte Bäume kann man deshalb fällen und als Baumaterial nutzen und wieder neue anpflanzen.

    Der Haken: Wälder lassen sich nicht vor Dürren, Schädlingen oder Feuer schützen. Eine dauerhafte Speicherung von CO2 ist also nicht garantiert. Zudem konkurriert das Aufforsten bei den Flächen mit dem Anbau von Nahrung – oder dem von Biomasse zur CO2-Bindung.

    • Menge: 500 – 3.600 Millionen Tonnen
    • Preis: 5 – 50 US-Dollar je Tonne.
    • Fazit: Daumen hoch

    Äcker und Wiesen als Speicher nutzen

    „Der Humus in landwirtschaftlich genutzten Böden bevorratet mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Bäume in den Wäldern Deutschlands zusammen“, haben Agrarwissenschaftler des Braunschweiger Thünen-Instituts ermittelt. Landwirte können daher zum Klimaschutz beitragen, indem sie Erntereste einarbeiten und Zwischenfrüchte anbauen. Moorböden, Wiesen und Weiden speichern den meisten Kohlenstoff.

    Vorteile: Das lässt sich umgehend machen, Konkurrenz zum Anbau von Nahrungspflanzen gibt es nicht. Allerdings ist die Dauerhaftigkeit der Speicherung vergleichsweise unsicher.

    • Menge: 2.000 – 5.000 Millionen Tonnen
    • Preis: 0 – 100 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen hoch

    CO2-Entnahme mit Technik der Ahnen: Pflanzenkohle unterpflügen

    Pflanzenkohle kann zum Klimaschutz beitragen. Erzeugt wird sie durch die 3.000 Jahre alte Technik des Köhlerns, bei dem Holz oder Pflanzen unter Luftausschluss verschwelt werden. Heute geschieht das in Hightech-Anlagen. Im Acker untergepflügt, erhöht die Pflanzenkohle die Fruchtbarkeit des Bodens. Jedes Kilo bindet fast das Dreifache an CO2 für Jahrhunderte. Auch der Einsatz in Zement oder Straßenbelag wird geprobt. Das rheinland-pfälzische Start-up NovoCarbo produziert Pflanzenkohle und bietet seit Kurzem CO2-Entnahme-Zertifikate für Unternehmen an.

    • Menge: 500 – 2.000 Millionen Tonnen
    • Preis: 30 – 120 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen hoch

    Biomasse anbauen, verbrennen und dann das CO2 speichern

    Auf Plantagen sollen schnell wachsende Pflanzen wie Eukalyptus angebaut, regelmäßig geerntet und dann in Kraftwerken zur Stromerzeugung verbrannt werden. Filter fangen das entstehende Klimagas auf, das nun unterirdisch gespeichert wird. Ein britisches Kraftwerk testet das in einer Minianlage.

    Nachteil: Experten schätzen, dass weltweit 200 Millionen Hektar Plantagen nötig sind. Das wäre ungefähr ein Sechstel der gesamten globalen Agrarfläche. Das kann zu Konflikten mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln führen.

    • Menge: 500 – 5.000 Millionen Tonnen
    • Preis: 100 – 200 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen runter

    CO2-Entnahme durch beschleunigte Verwitterung

    Klein gemahlene Silikate oder Basalte sollen auf Äcker oder ins Meer gestreut werden und dort durch Verwittern jede Menge Klimagas speichern. Dafür müsste allerdings eine Industrie für Abbau, Mahlen und Verteilen des Gesteins aufgebaut werden. In der Natur bindet Gestein durch Verwittern jedes Jahr global eine Milliarde Tonnen CO2; das Mahlen beschleunigt den Prozess. Die Methode sollte nun genauer erforscht werden.

    • Menge: 2.000 – 4.000 Millionen Tonnen
    • Preis: 50 – 200 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen waagerecht

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    Das Klimagas einfach aus der Luft filtern

    Kraftwerke, Autos, Heizungen pusten immer mehr Klimagas in die Atmosphäre, jetzt kann man das CO2 erstmals wieder rausfiltern. Etwa mit den containergroßen Anlagen der Züricher Firma Climeworks. Die 15. und bisher größte Anlage der Schweizer wird aktuell in Island fertiggestellt. Ab September wird sie jährlich 4.000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre filtern, die im Untergrund gespeichert werden. Die Uni RWTH Aachen attestierte der Technik eine Entnahme-Effizienz von 90 Prozent, wenn sie mit grüner Energie betrieben wird. Technik zur Direktabscheidung („Direct Air Capture“) gibt es auch von zwei Firmen in den USA und Kanada.

    • Menge: keine Expertenschätzungen
    • Preis: 95 – 230 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen hoch

    Klimagas zu Stein machen

    Das isländische Unternehmen Carbfix verwandelt Kohlendioxid in Stein. Dazu wird das Klimagas in Wasser aufgelöst und über 400 Meter tief in die Erde gepumpt. Dort bildet sich in weniger als zwei Jahren aus dem Kohlendioxid Carbonat-Gestein. Dadurch ist das Gas für Jahrtausende fest gebunden. Seit 2014 hat Carbfix so bereits 70.000 Tonnen Klimagas aus einem Geothermie-Kraftwerk weggespeichert. Jetzt will das Unternehmen im Südwesten der Insel für über 220 Millionen Euro einen Terminal für Gastanker bauen. Firmenchefin Edda Sif Pind Aradóttir hat große Pläne: 2030 will sie bereits drei Millionen Tonnen Klimagas speichern. Geologen von Carbfix schätzen, dass Island ein Mehrfaches der globalen jährlichen Emissionen aufnehmen könnte.

    • Menge: keine Expertenschätzung
    • Preis: 35 – 80 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen hoch

    CO2-Entnahme plus unterirdische Speicherung

    Man kann Klimagas auch in tiefe Gesteinsschichten pressen und dort wegspeichern (Fachbegriff: „Carbon Capture and Storage“). 2008 bis 2013 wurde die Technologie im brandenburgischen Ketzin getestet: 67.000 Tonnen CO2 wurden in 630 Meter Tiefe in Sandstein gepresst. Cornelia Schmidt-Hattenberger, Gruppenleiterin Geologische Speicherung beim Helmholtz-Zentrum Potsdam: „Undichtigkeiten gab es bei dem CO2-Speicherversuch in Ketzin nicht. Auch bei den derzeit in Deutschland betriebenen 33 unterirdischen Erdgasspeichern werden Speichertechnologien seit Jahren sicher angewendet.“

    Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe könnten geeignete Gesteinsschichten problemlos 50 bis 70 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aufnehmen. Aber die Speicherung ist umstritten. Eine Alternative bietet Norwegen: Die Skandinavier wollen Klimagas in großem Stil unter der Nordsee speichern.

    • Menge: 500 – 5.000 Millionen Tonnen
    • Preis: 100 – 300 US-Dollar je Tonne
    • Fazit: Daumen hoch

    Das Klimagas als Rohstoff nutzen

    Aus dem sehr stabilen Klimagas Chemieprodukte herstellen – dem Leverkusener Konzern Covestro und Aachener Max-Planck-Forschern ist das mithilfe von Katalysatoren gelungen. Covestro fertigt damit Vorprodukte für Schaumstoff von Matratzen oder für den Autoinnenraum. Eine Anlage in Dormagen bei Köln produziert jährlich bis zu 5.000 Tonnen Vorprodukt. Die Konzerne Evonik und Siemens stellen in einer Versuchsanlage in Marl aus CO2 Spezialchemikalien her. Und Forscher der Hochschule ETH Zürich erzeugen in einem Sonnenreaktor bei 1.500 Grad Celsius aus CO2 und Wasser Synthesegas. Noch sind das winzige Mengen, aber mit einer Solaranlage von einem Quadratkilometer Fläche ließen sich pro Tag 20.000 Liter Kerosin produzieren.

    • Menge: 1.000 – 2.000 Millionen Tonnen
    • Preis: keine Expertenschätzung
    • Fazit: Daumen hoch
    Hans Joachim Wolter
    aktiv-Redakteur

    Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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