Köln/Brüssel. Das Verbrenner-Aus war längst beschlossen, die Abstimmung der 27-EU-Staaten Anfang März galt nur noch als Formsache – eigentlich. Ab 2035 sollten in der EU keine Diesel und Benziner mehr neu zugelassen werden. Doch die Entscheidung zögerte sich wochenlang hinaus, weil Berlin blockierte. Am Ende setzte sich die Bundesregierung durch, dass es auch nach 2035 noch erlaubt sein soll, Verbrenner-Autos neu zuzulassen, die ausschließlich mit klimafreundlichen synthetischen Kraftstoffen betankt werden können.

Am grundsätzlichen Verbrenner-Aus für Diesel und Benziner ändert das also nichts. Jetzt will die EU auch noch eine letzte, strengere Abgasnorm durchdrücken: Euro 7. Mit diesem Regelwerk, so die Prognose der EU-Kommission, werde der Stickoxidausstoß durch Pkws und Lieferwagen 2035 um 35 Prozent geringer sein im Vergleich zur Euro-6-Norm. Auch Feinstaubemissionen sollen sinken – und so Asthma und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems verhindert werden.

300.000 Arbeitsplätze sind EU-weit in Gefahr

Der EU-Plan ist umstritten. Während Umweltverbände ihn als zu lasch kritisieren, befürchtet die Auto-Industrie die Schließung von Fabriken. Durch die geplante Euro-7-Norm seien 300.000 Jobs in Gefahr, warnte unlängst Luca de Meo, Renault-Chef und Präsident des europäischen Automobilverbands ACEA. Alarm also in einer Branche, die EU-weit 3,48 Millionen Arbeitsplätze bietet – davon allein 786.000 in Deutschland.

Aber was steckt eigentlich hinter den Brüsseler Plänen? Und welche Auswirkungen haben sie für Autofahrer? aktiv gibt einen Überblick:

  •  Grenzwerte. Euro 7 ist die erste Abgasnorm, die für alle Straßenfahrzeuge und alle Antriebe gleichermaßen gilt – ob Pkw, Lieferwagen, Linienbus oder schwerer Lkw, mit Verbrennungs- oder E-Motor. Und sie unterscheidet nicht mehr zwischen Diesel und Benziner.
    So wird der Grenzwert für Stickoxide (NOx) auf den bisher nur für Benziner geltenden Höchstwert von 60 Milligramm je Kilometer gesenkt. Und für Benziner gilt künftig der gleiche Kohlenmonoxid-Grenzwert wie derzeit schon für Dieselfahrzeuge: 500 Milligramm CO je Kilometer.
    Diese beiden Grenzwerte an sich sind nicht das Problem: Sie werden schon heute von Neuwagen eingehalten. In Zukunft aber gelten die Werte auch für Kaltstart und Extremsituationen. Zudem sind sie viel länger zu erfüllen als heute: 200.000 statt 100.000 Kilometer Laufleistung oder bis zu einem Fahrzeugalter von zehn Jahren. Dazu kommen noch Grenzwerte für Ammoniak (NH3) sowie für Feinstaub und Mikroplastik aus dem Abrieb von Bremsen und Reifen.
  • Einführung. Die Frist ist extrem kurz: Laut Plan der EU-Kommission soll die Norm schon ab dem 1. Juli 2025 in Kraft treten – zunächst für Pkws und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht. Für Busse und Lkws gilt sie ab dem 1. Juli 2027. Vorher müssen EU-Parlament und alle 27 EU-Staaten das Vorhaben aber noch absegnen. Thomas Puls, Verkehrsexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), hält es deshalb für „sehr ambitioniert“. Außerdem käme der Plan zur Unzeit, weil sich Hersteller zunehmend von Kompaktwagen mit Verbrennermotor verabschieden: „Aber gerade diese betrifft die neue Norm.“ Sie sei auch deshalb ein Problem, weil sie eine ganze Fahrzeuggeneration betrifft: „Ein neues Auto zu entwickeln, dauert im Schnitt drei bis vier Jahre, dazu kommt eine Bauzeit von acht bis zehn Jahren“, erklärt Puls. Für diese Autos müsse nun in kürzester Zeit die Technik für die Grenzwerte verändert werden.
  • Technik. Neufahrzeuge müssen für Euro 7 künftig ein leistungsfähiges elektrisches Bordnetz haben. Grund: „Der Katalysator braucht eine elektrische Vorheizung, damit das Auto aus dem Stand niedrige Emissionswerte einhalten kann“, erklärt Professor Thomas Koch, Experte für Kolbenmotoren am Karlsruher Institut für Technologie (siehe Interview). Die dafür nötige Leistung sei „mit dem Zigarettenanzünder nicht zu schaffen“. Vorgesehen sind auch ein Monitoring-System, mit dem sich Emissionen im Cockpit anzeigen lassen, sowie eine Art Staubsauger für den Bremsabrieb.
  • Kosten. Zwar geht die EU nur von 90 bis 150 Euro Mehrkosten aus, doch das sei unrealistisch, widerspricht IW-Experte Puls: „Es wird spürbar teurer und betrifft vor allem Kleinwagen, die aus Kostengründen vorerst nicht elektrifiziert werden.“ ACEA-Präsident Luca de Meo schätzt, dass Pkws „um bis zu 10 Prozent teurer“ werden.
  • Arbeitsplätze. Während Konkurrenten wie China und die USA ihre Investitionen in E-Fahrzeuge hochfahren, müssen Autobauer in der EU hohe Summen in eine Technologie investieren, die ein Auslaufmodell ist. Diese Mittel fehlen dann für neue E-Modelle – und gefährden am Ende Tausende Jobs.
  • Autopreise. Sie werden steigen. Vor allem bei Kleinwagen, weil bei ihnen im Gegensatz zu großen Autos ein elektronisches Bordnetz fehlt. Bei VW Up, Fiesta oder A-Klasse sind schon jetzt keine Nachfolger mehr geplant. Skoda kündigte im März an, dass der Fabia eingestellt werde, falls Euro 7 kommt.

Wenn also am Ende neue Autos für viele Fahrer unbezahlbar werden, nutzen sie ihre umweltschädlichen alten Möhren einfach länger.

Weniger Fertigungsberufe in der Autoindustrie

Die Autoindustrie hat seit 2013 laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 9 Prozent Fertigungsberufe eingebüßt. Zu diesem Ergebnis kommt Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien. „Wir sehen momentan eine Deindustrialisierung der Autobranche, die durch den Wandel zur E-Mobilität zustande kommt“, sagt Falck. „Ein Teil des Verlusts wird bereits und könnte in Zukunft noch mehr durch Batteriefertigung, Dienstleistungen im Bereich Software oder digitale Geschäftsmodelle aufgefangen werden.“ Entscheidender für das künftige Fertigungslevel deutscher Autohersteller sei jedoch, ob Jobs künftig hier oder in China oder den USA entstehen.

Rund 447.000 Beschäftigte stellten 2019 Produkte mit Verbrennertechnik her. Diese sind unmittelbar von der Umstellung auf Elektromobilität betroffen – vor allem, weil E-Motoren in der Herstellung weit weniger komplex sind als Verbrenner. „Noch produzieren die Autohersteller parallel Fahrzeuge mit beiden Antriebsarten. Mit dem Abbau dieser Doppelstrukturen wird sich der Beschäftigungsabbau in der Fertigung in den kommenden Jahren weiter beschleunigen“, sagt Falck. Die Anzahl der Beschäftigten im IT-Bereich sei seit 2013 um knapp 49 Prozent gestiegen.