Berlin. Die hohen Kosten für Energie belasten private Haushalte. Aber auch Betriebe leiden – für manche sind die Energiepreise sogar existenzbedrohend. Unter solchen Vorzeichen über höhere Löhne zu verhandeln, ist eine außergewöhnlich schwierige Aufgabe für die Tarifparteien. In der Papier- und Kunststoffverarbeitung ist es bald wieder so weit, die Tarifrunde beginnt wohl im Januar 2023.
Die Beschäftigten dieser kleinen, aber wichtigen Branche stellen zum Beispiel Versandverpackungen her, Verpackungen für Lebensmittel, Faltschachteln etwa für Medizin oder auch Papiersäcke für Schüttgut wie Zement und Displays für die Werbung im Supermarkt. Was ist für Sie beim Entgelt drin? aktiv sprach darüber mit Jürgen Peschel, dem Verhandlungsführer der Arbeitgeber, und mit Dr. Daniel Keesman, Peschels Vize im Sozialpolitischen Hauptausschuss des Branchenverbands HPV.
Derzeit ist die Teuerung sehr hoch, im Jahresschnitt 2022 könnten wir bei etwa 8 Prozent landen. Was folgt daraus für die Tariflöhne?
Keesman: Wir können und wollen das nicht ignorieren, wir sehen die Notwendigkeit, als Arbeitgeber dazu beizutragen, das Problem zu lösen. Aber wir können diese ungewöhnlich hohe Inflation natürlich nicht einmal annähernd bei Tarifverhandlungen ausgleichen.
„Energie wird nicht auf Dauer so teuer bleiben. Ab etwa 2024 wird es zu einer gewissen Normalisierung kommen.“
Jürgen Peschel, Verhandlungsführer der Arbeitgeber
Peschel: Man muss da auch die besondere Struktur dieser Inflation beachten. Energie wird nicht auf Dauer so teuer bleiben. Ab etwa 2024 wird es zu einer gewissen Normalisierung kommen. Ich halte es daher für sinnvoll, in dieser besonderen Situation neue Wege zu gehen.
Keesman: Es liegt jedenfalls nahe, die temporären Effekte bei den Preisen auch nur zeitweise zu kompensieren. Der Gesetzgeber hilft ja auch stark dabei. Und es gibt ja außerdem erhebliche staatliche Hilfsmaßnahmen, die jeden einzelnen Mitarbeiter finanziell deutlich entlasten.
Erwarten Sie, dass die Gewerkschaft Verdi diese Aspekte bei ihrer Tarifforderung berücksichtigt?
Peschel: Das wäre jedenfalls das Gebot der Stunde. Die Tarifpartner müssen jetzt an einem Strang ziehen. Wir wollen unsere Mitarbeiter nicht im Regen stehen lassen und die Arbeitsplätze nachhaltig sichern, das ist doch klar. Jedes Unternehmen ist letztlich eine Schicksalsgemeinschaft. Aber man muss eben auch sehen, welche Herausforderungen die Betriebe noch bewältigen müssen. Die Kosten für Energie, für Logistik und auch für die Materialien haben dramatisch zugelegt.
Immerhin ist es aber – bis zu Russlands Überfall auf die Ukraine – für die Papier- und Kunststoffverarbeitung nicht schlecht gelaufen, oder?
Keesman: Das stimmt zwar nicht für alle Teilbranchen, ist aber insgesamt gesehen schon richtig. Wir hatten einen Konsumboom, gerade auch im Online-Handel, bis ins erste Halbjahr 2022 hinein. Jetzt aber sehen wir eine deutliche Zurückhaltung in allen Konsumbranchen, sogar bei Lebensmitteln. Von der Absatzseite her ist es extrem schwierig zu planen. Alle Prognosen sind sehr unsicher.
Peschel: Im Bereich Verpackungen für Konsumgüter sind die Aufträge seit Ende Juli kontinuierlich und deutlich zurückgegangen. Und die wirtschaftliche Lage insgesamt, die ist schon sehr herausfordernd. Erst kam Covid. Dann die massiven Probleme in den Lieferketten. Nun zusätzlich die Energiekrise und die damit einhergehenden Preissteigerungen. In dieser multivarianten Problemsituation haben sich viele Betriebe weit von auskömmlichen Ergebnissen entfernt, sind nach bald drei Jahren Krise ausgezehrt. Ich sehe die Gefahr, dass manchen Unternehmen dabei die Luft ausgeht.
Die Tarifverhandlungen für die rund 100.000 Beschäftigten der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie beginnen voraussichtlich Anfang des Jahres 2023. Der 2021 abgeschlossene Tarifvertrag gilt noch bis Ende Januar.
Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.
Alle Beiträge des Autors