München/Köln. So schnell kann es bergab gehen: Das Ifo-Institut hat seine Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum gerade drastisch gekappt. In ihrer Herbstprognose senken die Münchner Wirtschaftsforscher den Ausblick für 2023 deutlich – um 4 Prozentpunkte im Vergleich zum Sommer. „Das sind ungewöhnlich hohe Änderungen in einem so kurzen Zeitraum“, betont Timo Wollmershäuser, Leiter der Ifo-Konjunkturprognosen.
„Deindustrialisierung als wirklich drohendes Risiko“
Für kommendes Jahr rechnet das Institut nunmehr mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent – statt des zuvor noch erwarteten Wachstums von 3,7 Prozent. „Wir gehen in eine Winter-Rezession“, stellt Wollmershäuser nüchtern fest. Er erwartet erst 2024 eine Normalisierung der Wirtschaftslage.
Mit dieser düsteren Prognose ist das Ifo-Institut sogar noch optimistischer als der Schnitt der ökonomischen Zunft: Der „Consensus Forecast“ vom September prognostiziert für 2023 ein Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,7 Prozent. Dieses Konjunkturbarometer ermittelt jeweils den Durchschnitt der Prognosen von rund 30 Forschungsinstituten und Banken.
Ein zentraler Grund für den Pessimismus sind die enorm gestiegenen Kosten für Gas und Strom, die die Betriebe viel härter treffen als private Verbraucher. „Wenn die Energiekosten weiter so hoch bleiben, fliegen viele Unternehmen aus der Kurve“, warnt daher Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. In einem Interview mit dem Youtube-Kanal „Mission Money“ sagt Hüther weiter: „Wir sehen die Deindustrialisierung als wirklich drohendes Risiko und nicht mehr nur als Drohkulisse.“
Eigentlich müssten die Betriebe jetzt Kapital für Investitionen aufbauen, um die Transformation in Richtung klimaneutrale Produktion zu schaffen. Stattdessen kämpften sie mit hohen Energiekosten und könnten hier kaum ausweichen – ohne Strom eben keine Produktion.
Gerade energieintensive Branchen wie Chemie, Glas, Papier, Stahl und Zement, aber auch die Nahrungsmittel-Industrie sieht der IW-Chef enorm unter Druck. „Es muss nicht zwangsläufig jeder Betrieb in die Insolvenz gehen“, so Hüther, „aber in der Breite haben wir eine hohe Belastung.“ Seine Sorge: Der Standort könnte gerade jene Branchen verlieren, die am Beginn der Wertschöpfungskette stehen und eine hohe Bedeutung für die gesamte heimische Wirtschaft haben.
„Wir müssen uns warm anziehen, um den Winter und das kommende Jahr zu überstehen“
Christian Kullman, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), stellt fest: „Wir müssen uns warm anziehen, um den Winter und das kommende Jahr zu überstehen.“ Wegen stark gestiegener Energie- und Rohstoffpreise sowie anhaltender Lieferengpässe müssten einige Betriebe bereits ihre Produktion herunterfahren, erste Unternehmen schrieben rote Zahlen.
„Die Konjunkturlage ist dramatisch“, so Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Der deutschen Wirtschaft drohe nicht weniger als die schwerste Krise seit Beginn der Bundesrepublik. Und diese Krise trifft auf erschöpfte Betriebe, wie Dulger betont: „Die zurückliegenden zwei Jahre haben uns bereits enorm viel Kraft gekostet.“
Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.
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