Düsseldorf. Es waren schwierige Verhandlungen während der Corona-Pandemie. In der siebten Verhandlungsrunde einigten sich die Metall-Arbeitgeber und die Gewerkschaft IG Metall in Düsseldorf auf einen neuen Tarifvertrag. Der erzielte Kompromiss für die 700.000 Mitarbeiter des Industriezweigs in Nordrhein-Westfalen gilt als Pilotabschluss, der üblicherweise in anderen Regionen übernommen wird.
Tarifentgelte werden wegen der schweren Krise erneut nicht erhöht
Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Verbands der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen (Metall NRW), bezeichnete den Tarifabschluss als „ein von Fairness, Vernunft und Weitsicht geprägtes Ergebnis in einer außergewöhnlich schwierigen Wirtschaftslage“. Es sei gelungen, der enorm heterogenen wirtschaftlichen Situation der Betriebe Rechnung zu tragen: „Für uns ist es ganz wichtig, dass unsere Unternehmen wie schon im Jahr 2020 auch 2021 keine Erhöhung der Tabellenentgelte verkraften müssen.“ Zudem sei mit der Gewerkschaft erstmals ein automatisch wirksamer Entlastungsmechanismus für krisenbetroffene Betriebe vereinbart worden.
Knut Giesler, der nordrhein-westfälische Bezirksleiter der IG Metall, bezeichnete die Einigung als „richtungsweisendes Ergebnis“: Mit dem Kompromiss werde auch in schwierigen Zeiten für Entgeltstabilität bei den Beschäftigten gesorgt.
Die wesentlichen Punkte der neuen Tarifvereinbarung:
- Geld: Eine Corona-Beihilfe von 500 Euro pro Mitarbeiter gibt es im Juni. Dazu kommt im Februar 2022 eine Sonderzahlung von 18,4 Prozent eines tariflichen Monatsentgelts. Diese neue jährliche Sonderzahlung steigt dann ab Februar 2023 auf 27,6 Prozent des Monatsentgelts. Die Sonderzahlung kann ausgezahlt werden oder zum Teilentgeltausgleich bei Arbeitszeitabsenkung verwendet werden: Darüber entscheiden die Betriebsparteien.
- Differenzierung: Die tarifliche Leistung des 2018 vereinbarten tariflichen Zusatzgeldes („T-ZUG B“) wird 2021 im Oktober fällig. Sie kann aber bei entsprechend schlechtem Unternehmensergebnis entfallen.
- Arbeitszeitabsenkung: Wie bisher können Arbeitgeber und Betriebsrat per Betriebsvereinbarung bei vorübergehenden Problemen die individuelle Wochenarbeitszeit für bis zu 12 Monate auf bis zu 30 Stunden absenken – bei entsprechender Entgeltkürzung. Neu ist nun, dass es ab 13 Monaten Arbeitszeitabsenkung (insbesondere bei betrieblichen Transformationsprozessen) einen Zuschlag gibt, der sich am durchschnittlichen Stundenentgelt bemisst: 25 Prozent Zuschlag bei einer Absenkung auf 32 Wochenstunden. Ab 25 Monaten Arbeitszeitabsenkung gibt es die 25 Prozent Zuschlag bei einer Absenkung auf 33 Wochenstunden und 50 Prozent Zuschlag bei einer Absenkung auf 32 Wochenstunden.
Wichtig: Bei konjunktur- oder transformationsbedingten Arbeitszeitverkürzungen sind betriebsbedingte Kündigungen nicht möglich. - Zukunftstarifvertrag: Dieser regelt, wie Arbeitgeber und Gewerkschaft über betriebliche Transformationsprozesse beraten können. Dieser Prozess kann aber nicht einseitig durch eine Betriebspartei erzwungen werden. Beide Seiten können zur weiteren Beratung eine von den Tarifvertragsparteien noch zu gründende Transformationsagentur hinzuziehen.
- Laufzeit: Der Tarifvertrag gilt rückwirkend zum 1. Januar, hat eine Laufzeit von 21 Monaten und endet am 30. September 2022.
Interview: „Ein stabiler Rahmen in Zeiten der Ungewissheit“
Über den Tarifabschluss kurz vor Ostern sprach aktiv mit Arndt G. Kirchhoff, Verhandlungsführer und Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW. Er ist Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff-Gruppe mit Stammsitz in Iserlohn. Der familiengeführte Automobilzulieferer beschäftigt weltweit rund 13.750 Menschen.
aktiv: Was zeichnet diesen Tarifabschluss in der Krise aus?
Kirchhoff: Die Tarifrunde 2021 fand in einer absoluten Ausnahmesituation statt. Wir haben als Tarifpartner bewiesen, dass wir in diesen Zeiten der Ungewissheit für stabile und verlässliche Rahmenbedingungen sorgen können.
Es gibt keine prozentuale Erhöhung der Entgelte. Warum war das nicht drin?
Unsere Vereinbarungen tragen alle Elemente eines echten Kompromisses. Die Corona-Beihilfe ist ein Ausgleich für die pandemiebedingten Belastungen bei allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dass wir eine Erhöhung der Tabellenentgelte für 2021 und 2022 bis September vermeiden konnten, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Wir mussten angesichts der schwierigen und dazu noch sehr unterschiedlichen Lage in den Betrieben die Unternehmen im Jahr 2021 weitgehend von Belastungen freihalten.
Für die Beschäftigten gibt es immerhin Corona-Beihilfe sowie Sonderzahlungen. Und was hilft den Betrieben?
Wir haben einen Entlastungsmechanismus für besonders krisenbetroffene Betriebe vereinbart, der automatisch wirkt. Damit sind zeitraubende Diskussionen in den Betrieben ausgeschlossen. Die Laufzeit von 21 Monaten sorgt für langfristige Planungssicherheit. Die betrieblichen Wahloptionen zur Beschäftigungssicherung lassen sich einfach umsetzen, das war uns ebenfalls sehr wichtig. Und: Wir haben – unter Beibehaltung der unternehmerischen Freiheit – gute Regelungen zur Begleitung betrieblicher Transformationsprozesse gefunden.
Was bedeutet dieser Abschluss darüber hinaus?
Er ist ein Punktsieg für eine funktionierende Tarifautonomie in unserem Land. Deren Wert beweist sich gerade in Zeiten wie diesen. Dafür lohnt es sich auch, sieben Verhandlungsrunden lang hart miteinander zu ringen.
Thomas Goldau schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Politikthemen. Nach dem Politikstudium an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und einem Zeitungsvolontariat beim „Offenburger Tageblatt“ hat er bei Tageszeitungen und einem Wirtschaftsmagazin über den Politikbetrieb in Bonn, Berlin und Brüssel berichtet. Privat zieht es den Familienvater regelmäßig mit dem Wohnmobil in die Ferne.
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