Viele haben es schon erlebt: leere Regale im Supermarkt. Kein Toilettenpapier in der Pandemie, nun fehlen durch den Krieg in der Ukraine zeitweise Mehl und Sonnenblumenöl. Was für uns unbequem ist, führt in der Industrie schnell zur Notlage. Denn die Kriegsfolgen sprengen ganze Lieferketten und schicken Firmen in die Mangelwirtschaft.
Die Chemie trifft es besonders: Für die Branche sind Öl und Gas nicht nur Energie in Form von Dampf und Strom, sondern auch Rohstoffe. In Ludwigshafen stellt die BASF zum Beispiel gut 10.000 Produkte her. Dazu nutzt sie Öl und Gas zu 60 Prozent als Energielieferant und zu 40 Prozent als Ausgangsstoff. Am Standort Ludwigshafen entstehen sowohl medizinische Produkte wie Desinfektions- oder Reinigungsmittel und Schutzanzüge wie auch Produkte des täglichen Lebens, Verpackungen für Lebensmittel oder Hygieneartikel. Wird hier nicht produziert, folgen Produktionsengpässe in nachgelagerten Branchen wie Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Pharma und Elektronik. „Eine Reduzierung der Erdgasversorgung auf unter die Hälfte des heutigen Bedarfs würde zu einer vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit führen“, erklärt BASF-Unternehmenssprecherin Daniela Rechenberger. „Bei deutlicher Einschränkung oder Einstellung der Produktion ist mit erheblichen Auswirkungen auf die Grundversorgung der Bevölkerung nicht nur in Deutschland – und damit auf das Gemeinwesen zu rechnen.“
Wichtige Produkte aus Erdgas
Es gibt viele Produkte, die sich aus Erdgas herstellen lassen. Besonders wichtig sind:
- Ammoniak. Das Gas ist eine der meistproduzierten Chemikalien und Ausgangsstoff für medizinische Produkte und Düngemittel: Von den im Jahr 2019 weltweit verbrauchten 191 Millionen Tonnen Düngemitteln entfiel über die Hälfte (107 Millionen Tonnen) darauf. Aus Ammoniak entstehen weitere Verbindungen wie Harnstoff, Blausäure, Natriumcarbonat und Salpetersäure. Man benötigt es auch zur Herstellung von Sprengstoffen, Chemiefasern und Kunstharzen.
- Acetylen. Das Gas ist unter anderem Ausgangsstoff für Kunststoffe, Arzneimittel, Lösemittel, Elektrochemikalien sowie hochelastische Textilfasern. Die sind wiederum Vorprodukte für die Automobil-, Pharma-, Bau-, Konsumgüter- und Textilindustrie.
Abhängig von Rohstoffexporteuren
Auch andere Rohstoffe sind nur schwer oder überteuert zu bekommen. China schottet ganze Metropolen von der Außenwelt ab, hohe Corona-Infektionszahlen führen zu Personalausfällen, Lieferungen kommen mit großer Verspätung oder gar nicht an. Knapp sind etwa Neon – wichtig für die Chiphersteller –, seltene Erden und Lithium. Kürzlich verkündete Volkswagen-Chef Herbert Diess: „Wir arbeiten an einer anderen Batteriechemie.“ Als Grund nennt er die extrem gestiegenen Preise für Nickel, das zum Großteil aus Russland kommt. Um bis zu 500 Prozent legte der Preis seit Beginn des Ukraine-Kriegs zu. Aber auch Reinigungshersteller haben zu kämpfen: Der Preis für Zitronensäure stieg um mehr als 400 Prozent, Kalilauge wurde doppelt so teuer.
Bedrückend ist auch hier eine große Abhängigkeit: eben die von China. 86 Prozent des Magnesiums kommen von dort, bei Gallium sind es 82 Prozent, Wismut 81 Prozent, Wolfram 81 Prozent, Arsen 69 Prozent und Mangan 26 Prozent.
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Dr. Sabine Latorre war bei aktiv 22 Jahre lang die Spezialistin für Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie – bis zu ihrem Rentenbeginn im April 2024. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Außerdem schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.
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