Kiel. Hitzerekorde, Dürre, Waldbrände – der Sommer 2022 gibt einen Vorgeschmack auf den Klimawandel. Manch einer dürfte sich in der Bullenhitze einen riesigen „Sonnenschirm“ gewünscht haben, der kühlen Schatten auf die Erde wirft. Wer davon träumt, liegt gar nicht so falsch: Wissenschaftler tüfteln längst an Techniken zum Schutz der Erde.

Klimaexperte Wilfried Rickels vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sagt, wo sie nötig sind: „Wir werden im großen Stil Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre rausholen müssen; das fordert auch der Weltklimarat. Schon dafür brauchen wir Techniken. Hinzu kommt: Wir sind viel zu spät dran mit unserer Klimapolitik! Das hat Folgen für die Umwelt. Deshalb werden wir nach meiner Einschätzung zusätzliche Technologien brauchen, um die Erde zu kühlen.“

Experten sprechen von Geo- oder Klima-Engineering, wenn man die Erderwärmung mit Technologie bekämpft. Wie geht das? Was haben die Forscher vor? aktiv erklärt die wichtigsten Pläne.

Ein Sonnenschirm im All soll der Erde Schatten spenden

Die spektakulärste Idee: Die Menschheit schießt mit Raketen Tausende Satelliten in den Weltraum. In 1,5 Millionen Kilometer Entfernung (am sogenannten Lagrange-Punkt L1) formieren sie sich zu einem Schwarm und spannen riesige dünne Folien als Sonnenschirm über der Welt aus. Dort sind die Gravitations- und Zentrifugalkräfte, die auf den Schild wirken, im Gleichgewicht. So kreist er mit der Erde um die Sonne und hält bis zu 2 Prozent des Lichts vom Blauen Planeten fern.

Ingenieur Rolf Janovsky, Leiter Vorentwicklung der Sparte Space Systems beim Bremer Unternehmen OHB, erklärt: „Wir würden eine kleine künstliche Sonnenfinsternis erzeugen, einen Schatten auf die Erde werfen.“ Es würde kälter, die Erwärmung wäre gebremst.

Noch ist das Science-Fiction. Der Sonnenschild würde 900 Kilometer Durchmesser haben und „könnte je nach Technologiereife zwischen 10 und 50 Millionen Tonnen wiegen“, kalkulieren Janovsky und sein Team von OHB. Sie hoffen auf die neue Superrakete „Starship“ des Unternehmens SpaceX von Tesla-Chef Elon Musk, die viermal so viel Nutzlast transportieren kann wie die bisher stärksten Raketen.

Das Weltrettungsprojekt bräuchte eine „global konzertierte Aktion“ vieler Staaten. Die Kosten dürften „in der Größenordnung von über 1 Billion Euro“ liegen, eine Zahl mit zwölf Nullen. „Aber“, so Janovsky, „bei gewaltigen Problemen wie dem Klimawandel können wir nur etwas mit Lösungen erreichen, die auch weit über das Normale hinausgehen.“

Ein dicker Vorteil des Sonnenschilds wäre: „Wir könnten die Beschattung von der Erde aus steuern.“ Der erzeugte Schatten könnte gezielt auf die Regionen der Erde gelenkt werden, wo er am wirksamsten ist. Und der Schirm wäre wieder einklappbar. Denn er soll nur so lange kühlen, bis die Menschheit das Klimagas verringert hat. Umweltschützer hingegen befürchten, dass das dann nicht mehr passiert. Geo-Engineering-Projekte sind daher umstritten.

Mehr Wälder oder Plantagen pflanzen, die Kohlendioxid aufnehmen

Überhaupt: Wäre es nicht einfacher, mehr Grün zu pflanzen, damit es das Klimagas aus der Luft holt? Bäume oder schnell wachsende Pflanzen wie Chinaschilf? Das erfordert riesige Wälder oder Plantagen. Um jährlich sieben Milliarden Tonnen CO2 zu speichern, wären acht Millionen Quadratkilometer neuer Wald nötig. Das ist 22-mal die Fläche von Deutschland. Konflikte mit der Nahrungserzeugung wären da programmiert. Waldbrände können die Erfolge wieder zunichtemachen.

Für das dicht besiedelte Deutschland ist das Aufforstungspotenzial begrenzt, so Experte Rickels vom Institut für Weltwirtschaft. „Anders zum Beispiel Schweden. Das setzt traditionell auf Forstwirtschaft und will jetzt mit schnell wachsenden Pflanzen in Kraftwerken Energie erzeugen, das Kohlendioxid aus den Abgasen filtern und tief in der Erde speichern.“

CO2 abfiltern und tief in der Erde wegsperren

Klimagas abfiltern und wegspeichern – darauf setzen heute Forscher und Techniker rund um den Globus. 675 Vorhaben zur CO2-Entnahme zählt die Heinrich-Böll-Stiftung aktuell.

Eines der größten Projekte ist im Hafen von Rotterdam geplant. Die Niederländer wollen Kohlendioxid aus dem Abgas von Kraftwerken, Zementfabriken oder Raffinerien filtern, sammeln und tief unter die Erde pressen (Fachbegriff: „Carbon Capture and Storage“). Eine Pipeline soll ab 2024 jährlich 2,5 Millionen Tonnen Klimagas hinaus auf die Nordsee bringen, wo es in leere Gasfelder gepumpt wird. Auch Norwegen treibt die unterirdische Speicherung von CO2 voran. Hierzulande ist die Technik dagegen umstritten. Bei einem mehrjährigen Speicherversuch in Brandenburg wurden keine Undichtigkeiten festgestellt.

Direkt aus der Luft filtern Anlagen des Züricher Start-ups Climeworks das Klimagas (Fachbegriff: „Direct Air Capture“). Die bisher größte steht auf Island und trennt 4.000 Tonnen CO2 im Jahr ab. Eine größere Anlage für 36.000 Tonnen ist im Bau, bis 2030 wollen die beiden Firmenchefs die Megatonne knacken, also eine Filterkapazität von einer Million Tonnen CO2 pro Jahr schaffen.

Das zeigt die riesige Herausforderung: Im Wettlauf gegen die Erderwärmung müssen die Technologien möglichst schnell industrielle Dimensionen erreichen. Und sie müssen billiger werden. „Noch sind CO2-Entnahmetechniken vergleichsweise teuer“, sagt Experte Rickels. „Eine Tonne Klimagas aus der Luft filtern bietet Climeworks aktuell für 600 bis 900 Euro an, laut den Projektionen könnten sie es künftig auf 100 bis 80 Euro schaffen.“ Das wäre etwa so viel, wie Betriebe heute für CO2-Verschmutzungszertifikate zahlen müssen. Die spannende Frage sei aber, so Rickels: „Gelingt es, die Verfahren zur CO2-Entfernung rechtzeitig hochzuskalieren?“ Denn nach 2050 müssen laut der US-Akademie NAS jährlich gewaltige zehn Milliarden Tonnen CO2 aus der Luft geholt werden, das erfordert eine richtige Industrie. „Aber selbst wenn es sie gibt, kann man nicht ausschließen, dass wir auch Strahlungsmanagement brauchen, um die Erde kühl zu halten.“

Städte weiß anstreichen bringt Kühlung fürs Mikroklima

Der einfachste Ansatz beim Strahlungsmanagement: Dächer, Fassaden und Straßen weiß streichen, damit sie Sonnenlicht besser reflektieren und sich weniger aufheizen. „In Los Angeles werden bereits Straßenbeläge aufgebracht, die stärker reflektieren“, weiß Rickels. „Im Städtebau wird es hier sicher noch einige Entwicklungen geben.“ US-Forscher etwa haben ein Weiß ausgetüftelt, das 98 Prozent des Lichts wieder abstrahlt. „Das bessert aber nur das Mikroklima in Städten“, schränkt Rickels ein.

Wolken aufhellen soll die Meere abkühlen

Regional die Meere abkühlen will Professor und Ingenieur Stephen Salter von der Universität Edinburgh. Dazu sollen einige 100 unbemannte Schiffe computergesteuert über die Ozeane kreuzen und ständig ultrafeine Salzwassertröpfchen in die Luft pusten. Sie machen die Wolken heller, die reflektieren Sonnenlicht nun besser, Meer und Atmosphäre kühlen ab. Schiffe und Sprühsystem hat Salter schon konzipiert. Pro Jahr würde das Kühlen nur 100 bis 200 Millionen Dollar kosten. IfW-Experte Rickels hält das für möglich. „Indien zum Beispiel könnte das zukünftig vor seinen Küsten machen, um die enormen Hitzewellen abzumildern, unter denen es leidet.“

Ein kühler Schleier für die Erde wie nach einem Vulkanausbruch

Schließlich könnte man die Welt mit einem künstlichen Vulkanausbruch kühlen. Die Idee entstand nach dem Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991. Der Vulkan schleuderte 17 Millionen Tonnen Schwefeldioxid hoch in die Stratosphäre. Weniger Sonnenlicht drang auf die Erde, die globale Durchschnittstemperatur ging zurück.

Um die Erderwärmung um ein Grad Celsius zu senken, müssten täglich etwa 6.700 Flugzeuge Schwefeldioxid in der Stratosphäre verteilen, haben japanische Forscher errechnet. Computersimulationen belegen, dass das funktionieren würde. 2021 sollte in Lappland ein Ballon zum Test Kalkpulver hochbringen. Der Versuch wurde aber wegen Protesten von Umweltschützern abgeblasen.

Rickels hat dafür nur wenig Verständnis: „Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln, um auf dieser Basis langfristig eine Technologie fürs Ausbringen zu entwickeln. Dann könnte man, wenn es nötig ist, global kühlen.“ Die Herausforderung sieht der Experte vor allem darin, die Flugzeuge für die Transportlogistik zu entwickeln: „Im Moment gibt es kaum Flugzeuge, die in die notwendigen Höhen kommen und dann noch eine ausreichende Traglast haben. Hier sollte man eigentlich anfangen, solche Flugzeuge zu bauen und zu erproben sowie dann zu untersuchen, wie sich das Schwefeldioxid verhält, wenn man es ausbringt.“ Darum sei es wirklich schade, dass das Experiment in Schweden nicht geklappt hat.

Der Experte betont allerdings: „Die eine Super-Lösung gibt es nicht. Am Ende werden wir alle Technologien brauchen.“ Weil sich nicht jede Methode in jeder Weltregion optimal nutzen lässt. „Zugleich sollten wir kostengünstige Optionen wie Wind- und Sonnenstrom sowie Energiesparen forcieren.“

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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