Bitterfeld hatte zu DDR-Zeiten den unschönen Ruf als die „schmutzigste Stadt Europas“: Ein grauer Chemie-Moloch, in dem kontaminierte Abwässer unbehandelt versickerten und das Grundwasser vergifteten. Inzwischen passiert hier sozusagen das Gegenteil! aktiv hat sich das mal zeigen lassen.

„Früher, da habe ich es sofort am Gestank gemerkt, wenn ich mich der Heimat näherte“, erinnert sich Burkhardt Faßauer beim Betreten des riesigen Industriegeländes. Faßauer wuchs in unmittelbarer Nähe auf. Nun kehrt er als Ingenieur und Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in den Chemiepark zurück, der mittlerweile einer der modernsten in Europa ist. Konzerne wie Bayer oder Lanxess zog es in das Gebiet nördlich von Leipzig. Heraeus liefert von hier Quarzglas, den Rohstoff für das schnelle Internet. Die Region hat sich gewaltig gewandelt, von grau und giftig zu grün und zukunftsfähig.

Keramische Membranen ermöglichen gezielte Rohstoffrückgewinnung

Einen großen Anteil daran hat das Gemeinschaftsklärwerk Bitterfeld-Wolfen (GKW), das seit 1994 in Betrieb ist. Neben den Abwässern aus rund 300 (!) Industriebetrieben sowie den umliegenden Kommunen reinigt das Klärwerk noch immer belastetes Grundwasser aus DDR-Zeiten. Und genau hier erproben Fraunhofer IKTS-Forscher unter Faßauers Leitung eine neue Methode: Mit ganz speziellen keramischen Membranen wird das Wasser nicht nur gesäubert – die Membranen können auch für eine gezielten Rückgewinnung unterschiedlichster Rohstoffe eingesetzt werden. Derzeit sind das Salze, aber auch Metalle sollen sich auf diese Weise bergen lassen: Rohstoffe aus dem Abwasser!

„Keramik ist dafür bekannt, dass sie besonders robust und haltbar ist und unter extremen Randbedingungen eingesetzt werden kann, von der Tiefsee bis zur Raumfahrt“, erklärt Faßauer. Beste Voraussetzungen also, um es mit den besonders herausfordernden Industrie-Abwässern aufzunehmen, die zum Teil sehr unangenehme pH-Werte oder extreme Temperaturen aufweisen – die wiederum beide schnell schwanken können. „Überall da, wo es sozusagen ungemütlich wird, kommen wir zum Einsatz“, sagt Faßauer.

Die Zukunftsindustrie stellt die Wasserreinigung vor neue Aufgaben

Abwasser als Rohstoff – das hat in den letzten Jahren eine völlig neue Bedeutung gewonnen. Und es ist auch im Eigeninteresse vieler Unternehmen, dieses Wasser wieder für sich nutzbar zu machen. Für die Forschung am Fraunhofer IKTS sind zusätzlich die neueren Industriebranchen ein starker Treiber, die Solartechnik etwa. „Anders als noch vor 30 Jahren nutzen wir in der industriellen Produktion nicht mehr nur ein paar, sondern nahezu jedes Element aus dem chemischen Periodensystem“, ordnet Faßauer ein. „Es stehen auf einmal ganz neue Stoffsysteme im Fokus, die auch für die Abwasserreinigung neue Aufgaben schaffen. Denn im Abwasser finden wir zum Beispiel auch seltene Metallverbindungen, die neuerdings in Brennstoffzellen zum Einsatz kommen.“

Getrennte Abwasserströme ermöglichen zielgenaue Behandlung

Grundsätzlich würde es sich lohnen, mehr Stoffe aus dem Abwasser im Kreislauf zu erhalten – sei es Phosphor für die Landwirtschaft oder Kobalt, Lithium und Nickel für Antriebstechnologien. Das ist allerdings nur sinnvoll, wenn die Stoffe in einer gewissen Reinheit zurückgewonnen werden können, woran das Fraunhofer IKTS-Forschungsteam zurzeit tüftelt.

„Der Reststoff des einen ist hier der Rohstoff des anderen“

Burkhardt Faßauer, Fraunhofer IKTS

Dabei hilft es, dass hier am GKW, anders als bei den meisten anderen großen Kläranlagen, die unterschiedlichen Abwasserströme in separaten Rohrleitungen im Klärwerk landen. „Durch die zunächst getrennte Zulieferung können wir verschiedene Abwässer gezielt miteinander kombinieren“, führt GKW-Geschäftsführer Kristian Dietrich aus. „So können wir etwa stark salzhaltige Industrieabwässer mit weniger salzigem Kommunalabwasser mischen und somit die Reinigung und Aufbereitung vereinfachen.“ Und natürlich ermöglicht die getrennte Zulieferung eine zielgenauere Behandlung der Abwässer.

Aus dem Reststoff des einen wird der Rohstoff des anderen

Das Fraunhofer IKTS und das GKW haben gerade erst eine neue Methode entwickelt, um Salze in reiner Qualität aus dem Abwasser zu filtern. „Aus dem so gewonnenen Salz könnten wir hier vor Ort Salzsäure herstellen und sie direkt an die Industriebetriebe weitergeben“, so Dietrich. Dabei muss das Salz im Abwasser nicht etwa von dem Unternehmen stammen, welches am Ende die Salzsäure erhält: „Der Reststoff des einen ist der Rohstoff des anderen“, erklärt Faßauer, „wir können durch die unterschiedlichsten Branchen hier vor Ort wunderbar Synergien nutzen.“

Wasserstoffproduktion als Zukunftsperspektive

Und man denkt in Bitterfeld-Wolfen schon weiter. Wenn ein Teil des Abwassers im Kreislauf des Chemieparks bliebe, könnte es etwa zur Kühlung von Industrieanlagen genutzt werden. Auch die Produktion von Wasserstoff ist denkbar. „Als Klärwerk können wir den Unternehmen somit nicht nur Rohstoffe zurückgeben, sondern auch Energie, die in Form der Abwasserströme bei uns ankommen“, so Dietrich. Momentan wird aus den organischen Reststoffen des Abwassers schon Biogas gewonnen, womit die Kläranlage bis zur Hälfte ihres eigenen Energiebedarfs deckt. Und die bei den unterschiedlichen Klärprozessen entstehende Abwärme wird zur Beheizung der Gebäude auf dem Gelände genutzt.

Alles in allem gewinnt man hier den Eindruck: Was gerade in Bitterfeld getestet wird, könnte weltweit vorbildlich werden. Ganz anders eben als zu DDR-Zeiten.

Nadine Keuthen
aktiv-Redakteurin

Nadine Keuthen stürzt sich bei aktiv gerne auf Themen aus der Welt der Wissenschaft und Forschung. Die Begeisterung dafür haben ihr Masterstudium Technik- und Innovationskommunikation und ihre Zeit beim Kinderradio geweckt. Zuvor wurde sie an der Hochschule Macromedia als Journalistin ausgebildet und arbeitete im Lokalfunk und in der Sportberichterstattung. Sobald die Sonne scheint, ist Nadine mit dem Camper unterwegs und schnürt die Wanderschuhe. 

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