Heidelberg. Schock in der Morgenstunde: Der Mega-Ausfall von Microsoft-Anwendungen Ende Januar legte zahllose PCs und Firmennetzwerke weltweit zeitweise lahm. Mit Open-Source-Programmen wäre das so nicht passiert, sagen viele Experten. Diese können von Herstellern und Anwendern selbst angepasst werden. Welche Vorteile bringt das? Ein Beispiel aus dem Maschinenbau macht es deutlich.

Diese deutsche Paradebranche mit ihren über eine Million Beschäftigten ist geprägt durch mittelständische Betriebe. Viele sind Weltmarktführer auf ihrem Gebiet – bei Werkzeugmaschinen, Fertigungsautomaten oder Laserschneidern. Doch der internationale Wettbewerb drückt, vor allem der aus China.

Schnelligkeit, Verlässlichkeit, Kostenersparnisse

„Um erfolgreich zu bleiben, nutzen immer mehr Maschinenbauer für ihre Produkte ‚offene‘ Steuerungssoftware“, berichtet Julian Feinauer von der Digitalisierungsberatung Pragmatic Industries. „Es geht dabei um Schnelligkeit, Verlässlichkeit, Kostenersparnisse.“ All das sichert „selbst gemachte“ OSS zumeist besser als herstellergebundene („proprietäre“) Software – wie die von Microsoft.

Vor gar nicht so langer Zeit sah die Welt der Maschinenbauer noch anders aus: Sie lieferten die Hardware – und Softwarehäuser die Programme dazu: für die Konstruktion einer Maschine, für deren Steuerung, für die Einbindung in Maschinenparks. Alles von der Stange und kaum aufeinander abgestimmt. „Das unter einen Hut zu bekommen, ist für einen Mittelständler immer schwieriger. Erst recht im Zeitalter von Industrie 4.0“, sagt Feinauer.

Damit schlägt die Stunde von Open-Source-Software: Sie wird gemeinschaftlich fortentwickelt – zum Beispiel in einer Genossenschaft wie OSADL in Heidelberg. „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, vermögen viele – das ist der Grundgedanke unserer Initiative“, erläutert Geschäftsführer Carsten Emde. „Software-Entwicklung, Qualitätsprüfung, Updates, Lizenzen – alles stellen wir sicher.“

Inzwischen haben sich mehr als 200 Firmen OSADL angeschlossen – Mittelständler und auch Große wie Trumpf, BMW, Audi und Intel.

„2/3 aller Unternehmen nutzen bereits Open-Source-Programme“

Ein anderes Beispiel liefert die Transportbranche: Mehrere namhafte Logistiker – darunter Dachser und DB Schenker – ziehen gemeinsam an einem Datenstrang. Dafür haben sie 2021 eine gemeinnützige Stiftung gegründet. Sie soll einheitliche Standards für den Warenaustausch schaffen. „Wir müssen Silo-Denken überwinden. Open Source kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten“, sagt der Chef von DB Schenker, Jochen Thewes. „Ob Frachtbriefe oder Tourenplanung – es macht wenig Sinn, jede Codezeile selbst zu programmieren.“

Firmen-Geheimnisse bleiben bewahrt

Über alle Wirtschaftszweige hinweg setzen heute bereits über zwei Drittel aller Unternehmen OS-Software ein. Das zeigt eine bundesweite Umfrage des Digitalverbands Bitkom.

Können in einer firmenübergreifenden Entwickler-Gemeinschaft eventuell Betriebsgeheimnisse verloren gehen? „Geheimes bleibt geheim“, versichert OSADL-Manager Carsten Emde. „Zusammen entwickelt wird nur, was alle als Basisanwendung brauchen – und was für den Wettbewerb keine Rolle spielt.“ Es ist wie beim elektrischen Strom: Wer was damit zum Laufen bringt und wie, hängt von jedem selbst ab.

„Vor allem bei neuen Technologien kommt Open Source entscheidende Bedeutung zu, weil dort das Entwicklungstempo besonders hoch ist“, erläutert Achim Berg, der Präsident des Digitalverbands Bitkom. Den entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil von OS schafft der sogenannte Quellcode der Software: Er ist offen zugänglich. Das ermöglicht es vielen gemeinsam, im „Schwarm“, voranzukommen.

„Bei der Entwicklung neuer Technologien hat Open Source entscheidende Bedeutung“

Achim Berg, Präsident Digitalverband Bitkom

Bekanntestes OS-Beispiel ist das Rechner-Betriebssystem Linux. Zahlreiche Entwickler können auf seiner Basis Programme erstellen und verbessern – rekordschnell und kostengünstig.

Linux treibt sogar Supercomputer an. In abgewandelter Form steckt es im Thermomix von Vorwerk – und versorgt das kultige Kochgerät mit immer den neuesten Rezepten. Oder im Mars-Helikopter Ingenuity, der 2021 zum ersten Rundflug auf dem Roten Planeten startete: Dazu befähigt worden war er von weltweit 12.000 Software-Ingenieuren in aller Welt.

OSS lohnt sich, belegt auch eine Studie von Fraunhofer-Forschern im Auftrag der EU-Kommission: Demnach steigert die Investition von 1 Milliarde Euro in herstellerunabhängige Software die Wirtschaftsleistung Europas um mindestens 65 Milliarden Euro. Sogar die Regierungsparteien in Berlin wollen auf diesem Feld weiterkommen. So steht es in ihrem Koalitionsvertrag. In einem ersten Schritt sollen Open-Source-Anwendungen mithelfen, die öffentliche Verwaltung fit für die Zukunft zu machen.

Alles klar also für den digitalen Wumms in Deutschland? Leider hapert es an ein paar Ecken. So läuft der Ausbau des schnellen Internets zu langsam. „Das bremst die beste Software aus“, sagt Barbara Engels vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Hinzu kommt die Multikrise, ergänzt die Expertin: „Von Corona bis zu den wirtschaftlichen Folgen des Angriffs auf die Ukraine – die Betriebe kostet das Kraft, die sie für die Digitalisierung bräuchten.“ Das ergab eine aktuelle IW-Studie, der Digitalisierungsindex 2022. „Immerhin hat die Wirtschaft in dieser Ausnahmezeit keine digitalen Rückschritte gemacht“, so Engels, „Das ist schon eine sehr gute Nachricht.“

Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

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