Karlsruhe. Andere würden nach einem stressigen Studium vielleicht erst mal ein bisschen chillen – Nour Al Ghazal erholt sich nach ihren Abschlussprüfungen bei Online-Kursen des Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Ohne Fleiß kein Preis“, sagt die 25-Jährige lachend. Und im gleichen Atemzug: „Man muss machen, was einem Spaß macht.“ Für sie ist das kein Widerspruch.

Informatik war ihr Kindheitstraum

Ihre Leidenschaft ist die Informatik – seitdem ein Informatiker ihr von seinem Beruf erzählt hat. Damals war sie zwölf. Den Kindheitstraum hat sie sich nun erfüllt: Seit Anfang des Jahres arbeitet die junge Syrerin als Wirtschaftsinformatikerin im Karlsruher Büro des IT-Dienstleisters Adesso.

Der Weg dorthin war geradlinig, aber auch steinig. Er begann mit einer langen Flucht aus Syrien – zusammen mit dem Vater und der kleinen Schwester. Über den Libanon und die Türkei ging es im Schlauchboot nach Griechenland und von dort aus weiter durch Europa – bis sie schließlich im September 2015 nach Deutschland kamen. „Ursprünglich hatten wir kein klares Ziel“, erzählt sie. „Die Niederlande vielleicht. Aber wir waren so erschöpft, dass wir beschlossen, in Deutschland zu bleiben. Das haben wir nicht bereut.“

Südwestmetall-Mitgliedsfirmen unterstützten das Stipendienprogramm

Dann ging alles Schlag auf Schlag. In einem halben Jahr absolviert das Multitalent die Grundstufe in Deutsch. Bald schon kann sie für andere Flüchtlinge dolmetschen. Während sie noch weiter Deutsch lernt, bewirbt sie sich bereits für ein Studium. Inzwischen wird sie mit einem Stipendium aus dem baden-württembergischen Landesförderprogramm für begabte syrische Flüchtlinge unterstützt. Ihr Sponsor ist die Waiblinger Firma Stihl – eines von vier Metall- und Elektro-Unternehmen, die der Arbeitgeberverband Südwestmetall für das Programm gewinnen konnte. „Uns ist es wichtig gewesen, junge talentierte Menschen zu fördern, damit sie in Deutschland studieren und sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren können“, sagt Michael Prochaska, Stihl-Vorstand Personal und Recht.

Das praxisbezogene duale Studium hat sie überzeugt

Der jungen Stipendiatin ist schnell klar: Wirtschaftsinformatik ist die perfekte Mischung für sie. Denn wirtschaftliche Zusammenhänge, betriebliche Prozesse, Programmieren – das alles findet sie gleichermaßen spannend. Aus Syrien brachte sie schon einiges dafür mit: An der Uni in Damaskus hatte sie ein Informatikstudium angefangen, aber nicht abgeschlossen. „Verglichen mit dem dualen Studium an der Hochschule Mannheim war das voll langweilig“, meint sie. Das praxisbezogene duale Konzept findet sie super – aber auch nicht ohne!

In der IT bieten sich großartige Chancen

Nach dem Bachelor-Abschluss im September 2020 nutzt sie die Auszeit, um sich im MIT-Online-Bootcamp in „Innovation“ und „Data Science“ weiterzubilden und um für sich zu klären: Wo möchte ich jetzt hin? Zu Adesso zog es sie, weil die Firma mit der Initiative „She for IT“ explizit Frauen anspricht. Auch Al Ghazal ist überzeugt: „Für Mädchen oder Frauen lohnt es sich definitiv, sich über IT-Berufe zu informieren und auch mal mit einem Praktikum reinzuschnuppern. So finden sie heraus, ob das was für sie ist.“

Schließlich sind das Jobs mit Zukunft und großartigen Karrierechancen. Die hat die junge Einsteigerin schon jetzt fest im Blick: In Richtung Beratung für Projekte rund um künstliche Intelligenz (KI) und Business-Prozesse soll es gehen. Im Moment arbeitet sie schon an einem KI-Projekt mit. „Das ist so interessant, dass ich manchmal den Feierabend vergesse“, sagt sie mit leuchtenden Augen. Und selbst in der Freizeit ist sie gern produktiv. „Ich möchte schon lange ein Puppenhaus aus Holz bauen“, erzählt sie. Dass bei aller Umtriebigkeit noch genug Zeit für ihren Mann und die Eltern bleiben muss, steht für Al Ghazal außer Frage. Denn, so sagt sie: „Ich bin ein Familienmensch.“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Als ich zwölf war, erzählte mir ein Informatiker von seiner Arbeit. Seitdem wusste ich: Das will ich machen!

Was reizt Sie am meisten?
Die Verknüpfung von Wirtschaftsthemen und IT, Zusammenhänge zu erkennen und zu analysieren.

Worauf kommt es an?
Selbstverwirklichung und Dankbarkeit für die kleinen Dinge im Leben.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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