Ulm. Vor sieben Jahren fällte Montaha Anjass die schwerste Entscheidung ihres Lebens: Die Palästinenserin wollte nach Deutschland kommen und hier Forscherin werden. Dafür ließ sie zunächst Mann und Sohn zurück und reiste, im siebten Monat schwanger, in eine völlig ungewisse Zukunft. Denn sie wusste nicht einmal, ob sie ein Stipendium bekommen würde! „Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts“, so die junge Muslimin.

Die dreifache Mutter ist auf dem Weg zur Professorin

Heute ist die Chemikerin 32, dreifache Mutter und auf dem Weg zur Professorin. Sie forscht an neuen Speichermaterialien für Batterien. In einer Video-Unterhaltung erzählt sie aktiv, wie sie in der Wissenschaft so weit gekommen ist und was sie motiviert.

„Ein Faible für Mathe hatte ich schon immer“, erzählt Anjass. Dann entdeckte sie die Chemie. „Man arbeitet im Labor mit den Händen, sieht eine Reaktion vor sich – Chemie ist einfach faszinierend“, schwärmt sie. Nach dem Bachelor-Abschluss in Palästina will sie weiterkommen, am liebsten in Deutschland, wo die Hochschulen einen ausgezeichneten Ruf haben.

Sie kratzt ihre Ersparnisse zusammen und schreibt sich, hochschwanger, an der Uni Ulm ein. „Mein Mann hat mich sehr unterstützt, er glaubt an meinen Traum“, sagt sie. Einige Monate später muss sie um ein Haar wieder in ihre Heimat zurückkehren – bekommt dann aber einen Vertrag als wissenschaftliche Hilfskraft und ein kleines Stipendium. Sie kann bleiben! Und nun sogar ihre Familie nach Ulm holen.

Sie macht Batterien sauberer und nachhaltiger

Die junge Frau macht den Masterabschluss und beschäftigt sich dann in ihrer Doktorarbeit mit Grundlagen elektrochemischer Speicherprozesse in Batterien. Und in ihrer Habilitation, an der sie nun an der Universität und am Helmholtz-Institut Ulm (HIU) arbeitet, geht sie der Frage nach, wie man Lithium in Batterien durch Natrium und Magnesium ersetzen kann. Ein enorm wichiges Thema, denn: „Wir werden in den nächsten zehn Jahren das große Problem haben, dass die Rohstoffe für Lithium-Batterien ausgehen. Es geht hier darum, die Welt ein bisschen besser zu machen.“

Konkret will sie ein Hybrid-Material aus organischen und anorganischen Substanzen entwickeln, für ganz neue, leistungsfähige Batterien, die gut recycelbar sind.

„Mit Multitasking bekomme ich Familie und Forschung hin"

Die mutige Muslimin hatte von Anfang an freundliche Unterstützer – spürte aber auch so manches Vorurteil, ob nun wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Religion: „Ich habe in den ersten Monaten bei manchen Menschen gespürt, da ist eine Brücke, die man erst überwinden muss“, beschreibt sie. „Aber wir haben uns schnell eingelebt. Mein Sohn hat schon nach einem halben Jahr gut Deutsch gesprochen.“ Auch ihr Mann hat eine gute Stelle gefunden.

Ihre Kinder, ein Junge und zwei Mädchen, sind zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Familie und Forschung unter einen Hut zu bekommen, sei oft schwierig, auch wenn ihr Mann sie unterstützt: „Es gab auch einen Punkt, da dachte ich, ich kann nicht mehr“, schildert sie. „Aber mit Multitasking bekomme ich es doch meistens hin.“ Sie saß oft abends mit ihrem Baby auf dem Schoß am Computer. Sie kocht, während sie ihrem Sohn bei der Schularbeit hilft. „Ich bin sowieso nicht der Typ, der zu Hause alle Arbeitsdinge aussperrt.“

Sie freut sich, dass berufstätige Eltern hierzulande so gut unterstützt werden

Es sei auch bemerkenswert, was hierzulande alles getan werde, um Familien zu unterstützen. Als eine Dozentin zum Beispiel erfahren habe, dass sie entbunden hatte, schrieb sie ihr per Mail: „Ich solle mein Baby ruhig mit zur Vorlesung bringen, auch wenn es schreit.“

So forscht Anjass nun auch trotz Lockdown und Homeschooling weiter – ab und zu bleibt sogar Zeit für ihre Hobbys: Kuchen backen und den Schrebergarten beackern.

Förderung für junge Forscher

Montaha Anjass ist eine von acht jungen Wissenschaftlerinnen, die Ende 2020 für ihre Doktorarbeit mit dem Förderpreis von Südwestmetall ausgezeichnet wurden. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.

Mit dieser Auszeichnung würdigt der Arbeitgeberverband seit mehr als 30 Jahren herausragende Dissertationen von Nachwuchsforschern, die eine besondere Bedeutung für die industrielle Arbeitswelt haben.

In ihrer Doktorarbeit untersuchte Anjass, wie man verschiedene molekulare Metalloxide als Speichermaterial für Batterien herstellen kann.

Batterieforschung ist ein wichtiges Zukunftsthema, weil Batterien zwar immer wichtiger werden, aber die bisher gängigen Speichermaterialien Lithium und Kobalt auf der Welt zunehmend knapp werden und schwierig zu recyceln sind.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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