Erbendorf. Grobe Wanderstiefel, kurze Lederhose, das karierte Hemd weit offen, so steht Herrmann Popp im trockenen Gras und lässt den Blick schweifen. Über den malerisch bewaldeten Höhenzug in der Ferne. Hoch am Himmel kreist ein Raubvogel unter brennender Sonne, die Luft riecht nach Heu. „Wunderschön, oder?“, sagt Popp, es ist mehr Feststellung als Frage. „Aber dieses Paradies hier wird zerstört, wenn sie wirklich kommen mit ihren … Dingern“. Wovon er spricht? „Windräder!“ Popp speit das Wort aus, als würde es dann vielleicht einfach davongetragen von der lauen Sommerbrise, hier im Hessenreuther Wald, bayerische Oberpfalz.

Hessenreuther Wald: Herrliche Landschaft in der bayerischen Oberpfalz. Hier sollen sich zukünftig acht Windräder drehen. Wie vielerorts wird auch hier seit Jahren über die Turbinen gestritten. Folge: Flaute in der Windenergie.

Windräder also! Für die einen Ungetüme aus Stahl, die die Landschaft verspargeln. Für die anderen Symbol für umweltverträglichen Grünstrom. Knapp 30.000 Windräder drehen sich derzeit im Land. Im vergangenen Jahr lieferten sie saftige 114 Milliarden Kilowattstunden Strom. Ein Fünftel der deutschen Stromerzeugung. Das ist viel – und doch viel zu wenig.

Sieben Turbinen müssten pro Tag gebaut werden

Denn die Bundesregierung hat ambitionierte Pläne. Damit Deutschland endlich und endgültig loskommt von Putins Erdgas und anderen fossilen Brennstoffen und zudem seine Klimaschutzziele erreichen kann, sollen bis 2030 mindestens 80 Prozent des deutschen Stroms aus regenerativen Quellen kommen. Wind, Sonne, Biomasse, Wasserkraft. Die gewichtigste Rolle wird dabei der Wind spielen. Allein an Land müssten sich nach den Plänen aus Berlin dann Turbinen mit einer Leistung von 115 Gigawatt drehen – das ist doppelt so viel wie heute. Heißt: Das Land braucht jedes Windrad. Sieben Turbinen müssten nach Expertenschätzungen dafür täglich dazukommen. Doch der Ausbau stockt.

Hessenreuther Wald: Herrliche Landschaft in der bayerischen Oberpfalz. Hier sollen sich zukünftig acht Windräder drehen. Wie vielerorts wird auch hier seit Jahren über die Turbinen gestritten. Folge: Flaute in der Windenergie.

Statt sich im ersehnten Aufwind zu befinden, vermeldet die Wind-Industrie seit Jahren: quälende Flaute. „Wir sind beim Ausbau auf einem historischen Tief angelangt“, sagt Jürgen Quentin, Referent für Energiewirtschaft bei der Fachagentur Wind in Berlin. Wurden in den Jahren 2014 bis 2017 jährlich noch 1.500 Windanlagen errichtet, kamen seither kaum noch 400 neue pro Jahr hinzu. Zukünftig will die Bundesregierung Jahr für Jahr zehn Gigawatt Leistung zusätzlich in den Wind stellen. Andreas Fischer, Energie-Experte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dünkt das etwas zu optimistisch: „Zuletzt haben wir in Deutschland ja gerade einmal an der Zwei-Gigawatt-Marke gekratzt.“

Die Gründe für den lahmenden Ausbau liefert Fischer gleich mit: kaugummizähe, jahrelange Genehmigungsverfahren, Klagewellen, zu wenige ausgewiesene Standortflächen sowie ein Dickicht aus Vorschriften. Fischer: „Das hat den Ausbau nicht nur verzögert, sondern dem ein oder anderen Investor auch die Lust genommen. Wenn man sieht, wie lange das alles dauert …“.

Wie lange das dauert? Das weiß auch Birgit Grünbauer ganz genau. Ein paar Stunden, bevor Wind-Gegner Hermann Popp die geplanten Turbinen verfluchen wird, steht Grünbauer wenige Kilometer entfernt mitten im Hessenreuther Wald. Eben dort, wo sie und ihre Mitstreiter von der eigenes für das Projekt gegründeten Betreiberfirma „New Energy Solutions“ für den Bau des „Windpark Silberschlag“ kämpfen. Seit nunmehr elf langen Jahren!

Quälend lange Genehmigungsverfahren

Grünbauer stapft über einen staubtrockenen Waldweg, sie will zeigen, wo sich bald vielleicht Windräder drehen könnten, unterwegs rattert sie routiniert die Kennzahlen runter: acht Turbinen, die Strom für über 32.000 Drei-Personen-Haushalte erzeugen können. Und die Genehmigungen? Grünbauer bleibt abrupt stehen. „Ein Irrsinn“, sagt sie.

Dann zählt sie auf: Artenschutzgutachten, Schlagschatten, Infraschall, Eiswurfrisiko, Abstandsmessungen, Standsicherheitsgutachten, Trinkwasserschutz, Umweltverträglichkeitsprüfung. Allein im Dienste des Artenschutzes sei ein Gutachter zweieinhalb Jahre durch den Hessenreuther Wald geschnürt. Grünbauer: „Es ging um Fledermäuse und Greifvögel.“ Deren Brutstätten wurden identifiziert, deren Beuteflüge analysiert, Horste lokalisiert und Planungen danach ausgerichtet. Dann änderten sich plötzlich Vorschriften, „und wir konnten wieder von vorn anfangen“.

Was sich nicht änderte, war die Überzeugung vom Projekt. „Wir haben hier Wind fast wie an der Küste.“ Windenergie in Einklang mit Mensch und Natur zu bringen – das sei das Ziel hier. „Wir sind nicht nur Investoren. Wir wohnen doch selber hier.“ Im Februar stellte Grünbauer den Genehmigungsantrag. „Wir haben alles erfüllt, ein Meilenstein.“ 2025, so hofft man nun, könnten sich die Räder hier drehen.

Töten Windräder wirklich Vögel?

Für Gegner Hermann Popp eine Horrorvision. „Der Wald ist doch kein Gewerbegebiet, in das man ultragigantische Monsterindustrieanlagen stellen kann“, grantelt er. Unwiederbringlich würde dadurch zerstört, was zu bewahren man vorgebe, findet der Naturschützer. „Wir brauchen im Kampf gegen den Klimawandel mehr Wald, nicht weniger“, sagt Popp. Den Widerstand würden er und seine Bürgerinitiative deshalb niemals aufgeben, betont Popp.

Und so stehen sie sich hier im Hessenreuther Wald gegenüber – Gegner und Befürworter der Energie aus Wind. „Moderne Windräder sind leise, können Vögel erkennen und sofort in einen Trudelbetrieb schalten“, sagen die Windleute. „Funktioniert alles gar nicht, Windräder sind gar schuld, dass in ihrer Umgebung weniger Regen fällt“, sagen die Gegner. Und so dreht sich die Diskussion immer weiter, immer im Kreis. Jürgen Quentin von der Fachagentur Wind überrascht das nicht. „Es gibt immer einen harten Kern, der sich gegen Infrastrukturmaßnahmen wehrt.“

Nur die Küstenstandorte allein reichen nicht aus

Und ja: Windkraftanlagen, bis zu 250 Meter hoch, seien durchaus prägend für eine Landschaft. Bloß: „Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Energieversorgung, die Lebensader unserer Gesellschaft, zukünftig gestalten wollen.“ Die weltpolitische Lage mahne dazu, möglichst viel Strom im eigenen Land zu generieren. Sich nur auf die Küstenregionen zu beschränken, reiche aber nicht. Quentin: „Das können wir uns nicht leisten, wir müssen auch weniger gute Lagen in den Blick nehmen!“

Die Mehrheit der Deutschen scheint der Windenergie dabei durchaus zugetan. In einer Forsa-Umfrage gaben 80 Prozent der Befragten an, keine Probleme mit Windrädern in ihrer Wohnumgebung zu haben. Und auch Energie-Experte Andreas Fischer vom IW gibt sich vorsichtig optimistisch. „Die Politik packt jetzt entscheidende Punkte an, Flächenziele sollen beispielsweise durchgesetzt, Genehmigungen vereinfacht werden.“

Hermann Popp wird sich das nicht gefallen lassen. Wenn die Windräder in seinem Heimatwald gebaut werden sollten, will er fortziehen. „Irgendwohin, wo es keine Windräder gibt.“ Die Frage ist nur: Wo soll das noch sein?

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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