Bielefeld. Nein, dieser junge Mann ist nicht besonders eitel. Und trotzdem: Spiegel haben es ihm angetan! Besonders einer: Der hängt hoch über einer Anlage des Textilunternehmens Delcotex in Bielefeld. „ich habe ihn am Computer konstruiert und dann die Installation organisiert“, sagt Delvan Mirza.

Mit dem blank geputzten Rechteck hat der angehende Wirtschaftsingenieur die Arbeit seiner Kollegen in der Warenschau deutlich vereinfacht. „Sie müssen jetzt nicht mehr um die Anlage herumlaufen, um zu kontrollieren, ob das Gewebe auf den Rollen leerläuft, wenn sie zu den letzten Metern kommen“, erklärt der 22-Jährige beim aktiv-Besuch im Betrieb. Ein Blick in den präzise positionierten Spiegel ersetzt die zeitraubenden Wege und spart Arbeitszeit für Wichtigeres.

Über ein Praktikum fand der junge Mann in den Betrieb – technische Textilien faszinierten ihn schnell

„Delvan hat sich da richtig gut eingearbeitet und das Projekt so gut wie selbstständig gestemmt“, sagt Florian Neumann zufrieden. Er arbeitet als Projektingenieur in der technischen Entwicklung bei Delcotex und begleitet den jungen Kollegen durch sein duales Studium, von dem Mirza derzeit das zweite Semester absolviert.

Zu dem Hersteller von technischen Textilien fand Mirza in schwierigen Zeiten. „Ich hatte da wirklich Glück und konnte noch kurz vor dem ersten Corona-Shutdown ein Praktikum machen – und dann im September 2020 meine Lehre beginnen“, erzählt er. „Erst wusste ich nur sehr wenig über diese spezielle Art von Textilien. Als mir klar wurde, wie vielfältig sie einsetzbar sind und welche Herstellungstechniken dahinterstecken, wollte ich die Ausbildung auf jeden Fall machen.“ Den Abschluss als Maschinen- und Anlagenführer schaffte er dann in Rekordzeit: Aufgrund guter Noten konnte er die Lehrzeit auf eineinhalb Jahre verkürzen.

Schon während der Ausbildungszeit nahm er sich höhere Ziele vor: weiterlernen, studieren. Aber nicht in Vollzeit: „Schließlich habe ich eine eigene Wohnung und ein Auto, das muss ich ja finanzieren.“ Und so arbeitete er nach Ende der Lehre erst als Maschinenführer in der Produktion und begann dann im September 2022 mit einem dualen Studium am Campus in Minden, einer Außenstelle der Fachhochschule Bielefeld. Unterstützt wird er dabei vom Unternehmen, wo er während der Praxisphasen des Studiums weiter arbeitet.

Mal in Bielefeld, mal in Minden – das kann schon stressig werden

Mirza pendelt also zwischen Studium und Arbeitswelt. Bis Mitte April war er wieder in der Delcotex-Produktion unterwegs. „Und gerade absolviere ich meine zweite Theoriephase im zweiten Semester und lerne am Campus in Minden.“ Ist das nicht enorm stressig? „Ja, das kann es schon werden“, sagt der angehende Ingenieur. „Aber es hat auch Vorteile. Ich kann die Theorie schnell in den Praxisphasen im Betrieb anwenden. Gleichzeitig bringe ich aus der Praxis ein besseres Verständnis für die Theorie mit.“

Überdurchschnittliches Engagement zeigt Mirza auch nach Feierabend: etwa bei der Hilfe für jesidische Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran. „Ich möchte anderen Menschen helfen, hier Fuß zu fassen“, erklärt Mirza, der selbst Jeside ist. Deshalb haben die Juroren des diesjährigen NEXT-Nachwuchspreises für die besten Azubis in gewerblich-technischen Berufen der Branche den jungen Mann mit dem zweiten Platz ausgezeichnet.

„Ich möchte anderen Menschen helfen, hier Fuß zu fassen“

Delvan Mirza

Mit dem Preisgeld geht es bald samt Familie in den Sommerurlaub in die Türkei. Doch davor gilt es noch die nächste Prüfungsphase zu überstehen. Ende Juni stehen vier Klausuren innerhalb von zwei Wochen an. Da ist also kräftiges Pauken angesagt, wenn auch in einer besonderen Umgebung am Campus in Minden: „Wir sitzen nicht in einem riesigen Hörsaal, sondern in normalen Klassenräumen, der Kontakt zu den Professoren ist intensiv. In dieser Atmosphäre lässt sich gut lernen.“

Noch fünf weitere Semester wird das Studium dauern. Und wie geht es danach weiter? „Natürlich bei Delcotex“, sagt Mirza, „und am liebsten im Qualitätsmanagement.“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Nach dem Abitur bin ich zunächst ein Jahr gereist und habe dann ein Betriebspraktikum gemacht. Das hat den Ausschlag für meine erste Ausbildung gegeben.

Was reizt Sie am meisten?

Mich fasziniert die Technik! Ich möchte mit meinem Wissen Probleme vor Ort in der Produktion lösen.

Worauf kommt es an?

Ein offenes Ohr für die Kollegen zu haben. Sie wissen nämlich oft genau, wo es hakt. Dann kann ich mir Gedanken über eine Lösung machen.  

Duales Studium: Teils im Job, teils an der Uni

  • 1.749 duale Studiengänge gab es 2022 in Deutschland
  • 4 Prozent aller Studenten studieren dual
  • 2 von 3 Absolventen bleiben anschließend in ihrem Betrieb

Quellen: Centrum für Hochschulentwicklung, BIBB

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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