Das Gebäude ist hier der Star, genauer gesagt sein Innenleben. „Wir installieren die Lebensadern der Gebäude von morgen“, erklärt Dieter Hellekes. Was damit gemeint ist, zeigt die Viega World – das neue Schulungszentrum von Viega, einem der Weltmarktführer für Installationstechnik.
Offene Schächte gewähren Einblicke in die Rohrleitungen für Heizung, Kälte, Trinkwasser und Sprinkleranlage. Ob an den Seitenwänden, an der Decke – wohin man blickt, die gesamte technische Gebäudeausrüstung (TGA), so die Fachsprache, muss sich nicht verstecken.
Hellekes ist für alle Serviceprozesse in Deutschland verantwortlich, einschließlich Training und Schulung für Fachhandwerker, Fachplaner, Meisterschüler, Studierende und Auszubildende der SHK-Branche. Er hat das topmoderne, interaktive Schulungszentrum Viega World von Anfang an mitgestaltet.
Hightech-Neubau in Attendorn war eine Millionen-Investition
Viega hat eine hohe zweistellige Millionensumme in den Neubau in Attendorn-Ennest investiert. Auf 12.200 Quadratmetern zeigt die Viega World, was heute in Sachen Heizung, Sanitär, Trinkwasserhygiene, Schall- und Brandschutz möglich ist und in Zukunft noch wichtiger wird.
Monitore an den Schächten zeigen in Echtzeit die Temperatur des durchströmenden Wassers, den Energieverbrauch und vieles mehr: Jedes Rohr, jedes Verbindungsstück und jedes Ventil im Haus hat einen digitalen Zwilling und kann auf dem Bildschirm sichtbar gemacht werden. Rot für Heizung, Blau für Kälte, Grün für Sanitär: Die virtuellen Adern überziehen das Gebäude mit einem dichten, bunten Netz. „Wir wollten ein Leuchtturmprojekt für die Weiterbildung in unserer Branche schaffen, aber auch für digitales, nachhaltiges Bauen“, erklärt Hellekes. „Das Gebäude selbst sollte Schulungsinhalt werden.“
„Wir wollten ein Leuchtturmprojekt für die Weiterbildung in unserer Branche schaffen“
Dieter Hellekes, Viega
Zum Beispiel sind der aktuelle Energiebedarf und die Verbrauchsspitzen beim Trinkwasser genau nachverfolgbar, wenn bis zu 200 Menschen gleichzeitig hier lernen. Hellekes führt Besucher in die Heizzentrale. Man findet Wände voller Rohrleitungen und Ventile und einen Riesenbildschirm für die Datenströme. „Wir haben 16.000 Sensoren verbaut und erforschen, wie man anhand von Betriebsdaten die Gebäudetechnik optimieren kann. Wir können etwa bei Bedarf gleichzeitig im Süden kühlen und im Norden heizen. Dieses Know-how stellen wir auch unseren Seminarteilnehmern zur Verfügung.“
Das Gebäude erzeugt mehr Energie, als es verbraucht
Viega World ist ein „Plusenergiehaus“: eines, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Photovoltaik-Module auf dem Dach und über den Parkplätzen versorgen zwei Wärmepumpen mit Strom. Zusätzlich nutzt das Schulungszentrum die Abwärme aus der benachbarten Produktion für die Heizung oder Kühlung. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) hat es mit Platin ausgezeichnet: mit der höchsten Bewertung, die eine Bildungseinrichtung jemals bekommen hat.
„Digitalisierung ist eine Chance – diese Botschaft wird hier greifbar“
Dieter Hellekes, Viega
Die hohe Effizienz wurde mithilfe der sogenannten Planungsmethodik BIM (Building Information Modelling) erreicht: Die Viega World wurde komplett digital geplant – vom Rohbau über den Betrieb bis hin zur Entsorgung, wenn es eines Tages so weit ist. „Architekten, Statiker, Planer, Raumakustiker: Alle haben ihre Fachmodelle über das interaktive 3-D-Modell gelegt und alle 14 Tage geschaut, was gewollt und was umgesetzt wurde“, sagt Hellekes.
Dabei gab hier die technische Gebäudeausrüstung die Struktur vor und nicht wie sonst die Außenhülle. Viega hat mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) und dem Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE) zusammengearbeitet: Die Erfahrungen aus der Planungs- und Bauphase sind in die Normen des Bauens mit BIM eingeflossen. Heute bildet Viega seine Fachpartner in dieser Arbeitsmethodik weiter. „Wir wollen unser Know-how weitergeben“, betont der gelernte Meister für Gas- und Wasserinstallation.
Handwerker können zum Wettbewerb gegeneinander antreten
Rund 17.000 Gäste, hauptsächlich Fachpublikum, hatte Viega World im ersten Jahr. Ein Viertel kommt von weit her: aus den Niederlanden, Belgien, den USA, Australien und Nahost. Die Besucher können beispielsweise im Aqua Lab verschiedene Installationssysteme für Waschbecken, Dusche und WC in Wohnungen, Hotelzimmern und Verwaltungsgebäuden ausprobieren und das Zusammenspiel von Hydraulik und Hygiene in Versuchen prüfen.
In der Werkstatt üben sie die Verarbeitung von Pressverbindungen oder die Montage eines höhenverstellbaren WCs. Handwerker können in Teams gegeneinander antreten: Wer als Erster den Spülkasten installiert hat, haut auf den gelben Button wie in einem TV-Wettspiel.
Teilnehmerin Julia Bock tauscht sich bei einem Seminar mit anderen Fachleuten über die Planungsmethodik BIM aus. Die Planerin für technische Gebäudeausrüstung beim Immobilien-Dienstleister WPW Leipzig GmbH lobt: „Viega hat sich hier wegbereitend vorangetraut, und ich wollte schon lange die Viega World besichtigen. Ich empfinde insbesondere die Visualisierung der technischen Gebäudeausrüstung im Gebäude als sensationell!“
Sven Wappler, der für BMW in Leipzig Produktionshallen plant, will Inspiration für weitere Projekte bekommen. „Dass Digitalisierung eine Chance und keine Last ist: Diese Botschaft wird hier greifbar.“
Das Unternehmen
Firmensitz des Familienunternehmens Viega ist Attendorn. Hier und in der Umgebung arbeiten rund 2.200 der insgesamt fast 5.000 Beschäftigten weltweit. Mit technischer Gebäudeausrüstung kam der Weltmarktführer für Installationstechnik 2022 auf rund 1,8 Milliarden Euro Umsatz.
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich wollte einen Beruf ergreifen, bei dem handwerkliches Geschick und technischer Sachverstand gleichermaßen wichtig sind.
Was reizt Sie am meisten?
Heute sind es die Suche nach sinnvollen technischen Lösungen und das Teilen dieses Wissens mit anderen.
Worauf kommt es an?
Neugierig zu bleiben und Dinge zu hinterfragen.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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