Köln. Jede Krise geht auch irgendwann wieder vorbei. Aber wie lang dauert es jetzt noch bis dahin, und wovon hängt das ab? aktiv sprach darüber mit Professor Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Auch 2023 wird ein Krisenjahr.Wann wird unsere Wirtschaft sich eigentlich wieder erholen?

Das ist eine spannende Frage. Ich sehe da zwei mögliche Entwicklungen: Entweder wird eine Rezession das nächste Jahr prägen, wir rechnen dann etwa nach dem dritten Quartal mit einer allmählichen Besserung. Oder es kommt schlimmer, und ein De-Industrialisierungsprozess setzt ein: Der würde uns über Jahre prägen, also länger zu einem sehr schwachen Wirtschaftswachstum führen.

Können Sie uns Mut machen, dass es nicht so dramatisch wird und uns eine De-Industrialisierung erspart bleibt?

Die mildere Variante einer normalen Rezession ist aus unserer Sicht in der Tat wahrscheinlicher geworden. Man muss das heftigere Szenario aber mit im Blick haben. Auch, um zu verstehen, dass eine Rezession weit weniger schlimm ist als eine De-Industrialisierung. Zumal eine Rezession nach einigen Quartalen wieder vorübergeht.

Sehen Sie als Ökonom denn schon positive Signale für die Konjunktur?

Ja, zum Beispiel in der Weltwirtschaft. Der G20-Gipfel ist gut verlaufen, es gab unter anderem positive Signale in der Beziehung zwischen den USA und China: Man will den Konflikt nicht verschärfen, sondern deeskalieren. Der Gipfel zeigte auch Einigkeit in der Haltung gegenüber Russland. Von den globalen Bedingungen her ist also Stabilität zu erwarten. Das stärkt unsere Einschätzung, dass wir es hoffentlich ‚nur‘ mit einer Rezession zu tun haben. Und bei uns in Deutschland ist es ein positives Signal, dass die Politik die massiven Steigerungen der Energiekosten abfedert.

Also wird die Gas- und Strompreisbremse die Krise entschärfen?

Sie ist jetzt sogar der zentrale wirtschaftspolitische Hebel! Denn sie gibt den Unternehmen und privaten Haushalten Anpassungszeit an teure Energie. Ich glaube allerdings nicht, dass wir diesen Hebel nur bis Anfang 2024 brauchen. Wir werden dann vermutlich darauf angewiesen sein, die Maßnahme – auslaufend freilich – noch zu verlängern.

Die Metall- und Elektro-Industrie ist hierzulande ja sehr wichtig. Wie krisenfest ist sie?

Sie muss momentan nicht nur die Konjunkturkrise, sondern auch noch den Strukturwandel bewältigen. Denn diese Branche spielt im Wandel zur Klimaneutralität eine zentrale Rolle – vor allem in Baden-Württemberg, wo die Auto-Industrie und ihre Zulieferer sehr stark vertreten sind. Für diese Rolle ist sie grundsätzlich gut aufgestellt und durchaus auch anpassungsfähig. Die akute Krise mit ihren Kostenschocks und Materialproblemen ist da schon eine größere Herausforderung, deren Lösung die Unternehmen oft auch nicht selbst in der Hand haben. Die Metall- und Elektro-Industrie ist zwar sehr resilient – aber unter der Voraussetzung, dass auch sie nicht überfordert wird. Das gilt auch bei den Entgelten, die Tarifpartner müssen einen vernünftigen Kurs fahren – wie es der Tarifabschluss tatsächlich offeriert.

Was sollte die Bundesregierung noch tun, um eine Überforderung der Betriebe zu verhindern?

Es ist einfach ganz wichtig, dass die Politik zusätzliche Belastungen vermeidet. Und das kostet oft ja auch gar kein Geld, sondern bedeutet einfach, auf sozialpolitische Geschenke zu verzichten und von neuen bürokratischen Regulierungen abzusehen. Daneben muss die Politik auch für gute Standortbedingungen etwa bei der Infrastruktur sorgen. Und natürlich auf Steuererhöhungen verzichten. Sie muss aber auch begreifen, dass dies eine ganz spezielle Rezession ist …

Warum? Was macht diese Rezession denn so ungewöhnlich?

Sie fängt nicht, wie sonst üblich, in der Weltwirtschaft oder im privaten Verbrauch an, sondern bei Produktionseinschränkungen der energieintensiven Unternehmen. Umso wichtiger ist es, dass der Gas- und Strompreisdeckel greift – denn die energieintensiven Branchen wie etwa Metall-, Glas-, Papiererzeugung und Chemie stehen am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. Wenn solche Branchen verschwinden, sind auch die sonstigen Industrien gefährdet! In Deutschland wäre eine solche Entwicklung besonders gravierend, denn die Industrie trägt bei uns 20 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Zum Vergleich: In Frankreich, den USA und Großbritannien liegt dieser Anteil gerade mal bei rund 10 Prozent.

Könnte die Politik aus dieser Krise etwas Grundsätzliches lernen?

Durchaus. Zum einen: langfristiges strategisches Denken. Das hat in der Energiepolitik gefehlt! Es war völlig aus den Augen verloren worden, dass eine derart starke Abhängigkeit von einem Energielieferanten wie Russland volkswirtschaftliche und politische Risiken birgt. Diese Risiken wären vermeidbar gewesen. Eine weitere grundsätzliche Lehre ist, dass wir die europäische Integration unbedingt weiter vorantreiben müssen.

Also den Zusammenhalt in Europa. Warum spielt der denn eine so große Rolle?

Nur mit einem starken Europa können wir im zunehmenden Wettstreit der großen globalen Mächte eine Rolle spielen. Es geht darum, in und mit der transatlantischen Partnerschaft den weltwirtschaftlichen Rahmen mitzugestalten. Wir brauchen also eine Perspektive für Europa als Verteidigungs-, Energie- und Infrastruktur-Union. Das ist sicherlich eine große Herausforderung und kostet auch viel Geld. Aber hier sind alle Kosten und Anstrengungen gut investiert.

Zur Person

Gefragter Konjunktur-Experte: Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Professor Michael Hüther Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Bild: IW
  • 1962 geboren, studierte er Volkswirtschaft und Geschichte in Gießen und Norwich (Großbritannien).
  • Der Ökonom ist seit 2004 Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Das ist ein mehr als 70 Jahre altes privates Wirtschaftsforschungs- institut, unter dessen Dach auch diese Zeitung produziert wird.
  • Hüther ist gefragter Experte, wenn es um Wirtschaft und Wirtschaftspolitik geht.
Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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