Stuttgart. Nach insgesamt fünf harten Verhandlungsrunden haben sich die Tarifpartner IG Metall und Südwestmetall in der Nacht zum 18. November auf einen neuen Tarifvertrag für die Metall- und Elektro-Industrie verständigt. Vor dem Hintergrund der schweren Krise erklärte Dr. Harald Marquardt, Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall: Der Abschluss sei an der Grenze dessen, was für die Mehrzahl der Unternehmen gerade noch tragbar sei. Und ein Vorschuss auf den wirtschaftlichen Aufschwung – der irgendwann kommen müsse.
aktiv erklärt, was im Detail alles vereinbart worden ist:
- Prämie als Inflationsausgleich. Eine ausnahmsweise steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 3.000 Euro wird auf zwei Tranchen von je 1.500 Euro aufgeteilt. Auszuzahlen sind sie in den Jahren 2023 und 2024, jeweils bis zum 1. März. 750 Euro aus der ersten Tranche erhalten die Beschäftigten aber schon bis Januar 2023. Für Teilzeitbeschäftigte und Azubis gibt es diese Prämie jeweils anteilig.
- Gestaffelte Erhöhung der Tarifentgelte. Auch die prozentualen Entgeltsteigerungen kommen in zwei Schritten: Zum 1. Juni 2023 gibt es 5,2 Prozent Erhöhung und am 1. Mai 2024 weitere 3,3 Prozent.
- Höheres tarifliches Zusatzgeld. Das jeweils im Juli fällige tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG B) wird von bisher durchschnittlich rund 400 Euro auf rund 600 Euro erhöht.
Spielraum für Unternehmen in Not
Für Südwestmetall war allerdings unabdingbar, substanzielle Entlastungsmöglichkeiten für diejenigen Unternehmen zu schaffen, denen es aktuell nicht so gut geht. Marquardt wies darauf hin, dass dies nicht wenige Firmen betrifft. Die gesamtwirtschaftliche Situation habe sich eher noch verschlechtert – und nach wie vor litten viele Betriebe unter den hohen Rohstoffpreisen, den Problemen in den Lieferketten und der allgemeinen Unsicherheit. Deshalb wurden in den Tarifvertrag diverse Möglichkeiten der Differenzierung eingebaut, die den Unternehmen bei der Umsetzung ausreichend Spielraum lassen:
- Inflationsausgleichsprämie kann flexibel ausgezahlt werden. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, die Auszahlung der beiden Tranchen jeweils vorzuziehen oder nach hinten zu schieben. So kann die Kostenbelastung notfalls in ein anderes Kalenderjahr verschoben werden.
- T-ZUG B wird automatisch differenziert. In den beiden Jahren, für die der neue Tarifvertrag gilt, können einzelne Unternehmen das tarifliche Zusatzgeld verschieben, kürzen oder auch streichen – falls sie nur eine Nettoumsatzrendite unter 2,3 Prozent erwirtschaften.
- Schnelle Reaktion auf Energienotlage. Dass es bei uns zu Engpässen bei Gas und Strom kommt, kann momentan niemand sicher ausschließen. Deshalb haben sich die Tarifpartner auf einen Prozess verständigt, der sicherstellt, dass jederzeit schnell und flexibel auf eine mögliche Energienotlage während der Laufzeit des Tarifvertrags reagiert werden kann.
Lange Laufzeit gibt den Firmen Planungssicherheit
Arbeitgeber-Verhandlungsführer Marquardt betonte: „Die Nöte unserer Beschäftigten angesichts der Inflation nehmen wir ernst.“ Gleichzeitig sei es aber notwendig gewesen, einen Hebel zu schaffen, der den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen der Betriebe Rechnung trage.
Der Tarifvertrag gilt 24 Monate, rückwirkend gerechnet ab Oktober 2022. Er endet also am 30. September 2024. Diese recht lange Laufzeit gibt den Firmen laut Marquardt „Planungssicherheit und Ruhe für die absehbar sehr schwierigen nächsten zwei Jahre, die vor uns liegen“.
Tarifabschluss: Ein Vorschuss auf erhofftes Wachstum
Zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektro-Industrie, die bundesweit fast vier Millionen Menschen beschäftigt, erklärt Dr. Stefan Wolf, der Präsident des Arbeitgeberdachverbands Gesamtmetall: Der Abschluss sei „teuer“ und „eine große Belastung für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“. Ein Arbeitskampf hätte aber noch größeren Schaden verursacht – und wäre ein fatales Signal für den Standort Deutschland und die Tarifautonomie gewesen. „Dieser Abschluss ist ein Vorschuss auf das Wachstum, auf das wir ab 2024 wieder hoffen“, so Wolf. „Und wir haben uns auch auf ein Vorgehen geeinigt, falls eine Energienotlage die Hoffnungen zunichtemacht.“
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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