Bonn/Berlin. Der Griff in den Nacken oder das Reiben der Lendenwirbel: Leider gehört das für viele Menschen zum Arbeitsalltag. Es zieht und schmerzt, die massierende Hand bringt kaum Linderung. Deutschland hat Rücken – und das nicht erst seit dem coronabedingten Homeoffice-Hype.

Das Volksleiden hält sich hartnäckig. Und ist teuer. In einer Studie kam Professor Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Uni Bielefeld, auf mehr als 18 Milliarden Euro Kosten für die Betriebe – pro Jahr! Dabei geht es um die Lohnfortzahlung, aber auch um Produktionsverluste.

So fehlten zum Beispiel die AOK-Mitglieder im Jahr 2019 rund 21 Millionen Tage wegen „Rücken“ in der Firma. Das zeigen Berechnungen des AOK-Instituts Wido in Berlin. „Damit liegt diese Erkrankung noch vor der klassischen Erkältung“, betont der AOK-Bundesverband. Etwa jeder zehnte Versicherte weist Fehltage wegen Rückenleiden auf (dieser Wert hat sich seit vielen Jahren nicht verändert). 

Das Potenzial für schmerzhafte Verspannungen dürfte durch den Homeoffice-Boom steigen

„Die häufigsten Rückenprobleme sind schmerzhafte Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich“, erklärt Peter Schiefen im Gespräch mit aktiv. Er hat eine Privatpraxis in Bonn und ist Arbeitsmediziner der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik. Schiefen macht Fehlhaltungen für die Beschwerden verantwortlich – insbesondere am Computer: „Viele sitzen zu einseitig, bewegen sich kaum, sind zu sehr auf den Bildschirm fixiert.“

Ein solches Verharren über längere Zeit nimmt die Rückenmuskulatur bald übel, sie verkrampft: „Die meisten Rückenschmerzen sind tatsächlich rein muskulär bedingt“, so der Arzt.

Ein Umstand, mit dem viele Beschäftigte derzeit unangenehme Bekanntschaft machen. Zum einen sind Fitness-Studios und Schwimmbäder dicht, zum anderen wird im Homeoffice zu wenig auf die Ergonomie geachtet. Da findet die Videokonferenz am Küchentisch statt, dessen Höhe nicht passt, dem als Bürostuhl genutzten Hocker fehlt die flexible Rückenlehne, die die Wirbelsäule stützt: Verkrampfungen sind da vorprogrammiert! Statt solche Notlösungen beizubehalten, sollte man also in die eigene Gesundheit investieren. In einen ergonomischen Bürostuhl zum Beispiel, der bei guter Qualität sehr lange hält. Die Kosten kann man von der Steuer absetzen. 

Schon einfache Übungen können der Muskulatur helfen

Experte Schiefen sieht durchaus die Gefahr, dass ungeplantes Homeoffice auf die Dauer aufs Rückgrat schlägt. Und dann werde oft falsch reagiert. „Betroffene entwickeln bei solchen Schmerzen eine gewisse Konsumhaltung“, so der Mediziner. Eine Schmerzspritze, Tabletten oder Massagen sollen es schnell richten. „Das kann zwar im akuten Fall hilfreich sein. Langfristig muss man aber selbst aktiv werden, um von den Beschwerden wegzukommen. Das heißt vor allem: in Bewegung bleiben!“  

    Übungen fürs Homeoffice

    Diese einfachen Übungen reichen oft schon aus, um die Rückenmuskulatur zu entspannen. Sie sollten fünf- bis zehnmal wiederholt werden. 

    • Hals- und Nackenmuskeln dehnen: „Den linken Arm Richtung Boden strecken und den Kopf nach rechts neigen“, erklärt Schiefen. Dann umgekehrt. Die Dehnung auf jeder Seite etwa 20 Sekunden halten: „Es darf ruhig etwas ziehen, auch brennen, aber nicht schmerzhaft werden.“
    • Obere Rückenmuskulatur dehnen: Die Arme vom Körper wegstrecken und überkreuzen, die Finger greifen ineinander, dann die Arme in gestreckter Position nach vorne schieben – und den oberen Rücken gleichzeitig nach hinten strecken. „Diesen ,Katzenbuckel‛ sollte man etwa 20 Sekunden halten.“
    • Rumpfmuskulatur dehnen: Die Arme abwechselnd ganz weit nach oben strecken – als wollte man die Decke berühren.
    • Brustwirbelsäule mobilisieren: „Das geht auch im Sitzen.“ Beide Hände locker auf die jeweilige Schulter legen und den Oberkörper langsam nach links, dann nach rechts drehen. Achtung: „Das Becken darf sich dabei nicht mitdrehen.“
    • Bandscheiben entlasten: In den Pausen ruhig mal die Beine hochlegen. „So wird der Druck von den Bandscheiben genommen“, erklärt Schiefen.
    • Auf die Sitzhaltung achten: Tisch und Stuhl so einstellen, dass Ober- und Unterschenkel einen 90-Grad-Winkel bilden. „Ein Sitzkissen kann gegebenenfalls dabei helfen.“ Den Monitor eine Armlänge entfernt stellen – und so, dass der Blick leicht geneigt ist: „Das entlastet die Nacken- und Schultermuskulatur.
    Anja van Marwick-Ebner
    aktiv-Redakteurin

    Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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