Köln. Arbeitnehmer, die krank werden, können sich in unserem Sozialstaat in Ruhe auskurieren: Sie bekommen erstmal Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, dann gegebenenfalls Krankengeld und müssen sich auch keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Meinung besteht während einer laufenden Erkrankung aber kein Kündigungsschutz. „Ein Unternehmen darf einem Mitarbeiter auch kündigen, obwohl er aktuell arbeitsunfähig erkrankt ist“, sagt die Kölner Fachanwältin für Arbeitsrecht, Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht beim Deutschen Anwaltsverein. Wer – egal aus welchen Gründen – mit einer Kündigung rechnet, bekommt also keinen Aufschub, nur weil er krank geworden ist, auch nicht mit Attest.

Etwas anderes ist dagegen die Kündigung wegen Krankheit, wenn also eine Erkrankung der Grund für die Kündigung sein soll. In solchen Fällen gelten strenge Regeln, denn natürlich darf man Mitarbeiter nicht wegen eines Schnupfens entlassen. Eine Ausnahme gibt es lediglich in der Probezeit: „Während der Probezeit kann der Arbeitgeber ohne Angabe von Gründen kündigen. Es spielt also keine Rolle, ob die Erkrankung oder andere Gründe zur Kündigung geführt haben“, erläutert die Juristin. Ist die Probezeit überstanden, gelten strengere Regeln.

Eine Dauererkrankung ist allein noch kein Kündigungsgrund

Manche Mitarbeiter sind schon seit ewigen Zeiten nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen, weil sie seit Monaten oder gar Jahren durchgängig krankgeschrieben sind – etwa bei schweren Krebserkrankungen. Auch eine sehr lange dauernde Erkrankung alleine ist jedoch noch kein Kündigungsgrund. „Entscheidend ist nicht die Vergangenheit, sondern die Prognose für die Zukunft“, erläutert Nathalie Oberthür.

Der Erkrankte kann gekündigt werden, wenn er nach ärztlicher Meinung auf absehbare Zeit nicht mehr arbeitsfähig sein wird. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie lang das ist. „Die Rechtsprechung geht hier in der Regel von den kommenden zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kündigung aus“, erläutert die Juristin. In der Praxis wird aber kaum ein Arbeitgeber (und auch kaum ein Arzt) in der Lage sein, eine derartig langfristige Prognose zu stellen.

Zudem entstehen dem Unternehmen durch Langzeiterkrankte normalerweise keine Kosten, da die ja keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mehr erhalten, sondern Krankengeld (Lesen Sie auf aktiv-online mehr über die Zahlung des Krankengeldes) von der Krankenversicherung. „Erfahrungsgemäß wird in solchen Situationen nur sehr selten gekündigt“, so die Einschätzung der Arbeitsrechtlerin. In der Regel wird abgewartet, ob der Mitarbeiter wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann, ob er aufgrund seiner Erkrankung den Beruf wechselt oder ob er sogar komplett aus dem Berufsleben ausscheidet.

Ständige Kurzerkrankungen rechtfertigen im Einzelfall eine Kündigung

Sehr viel häufiger sind in der Praxis Kündigungen, wenn ein Arbeitnehmer überdurchschnittlich häufig krank ist, auch wenn er zwischendurch immer wieder am Arbeitsplatz erscheint. Auch hier stellt sich die Frage, wie viel „zu viel“ ist.

Dabei kommt es auf den Einzelfall an. „Die Gerichte setzen hier meist Krankheitszeiten von insgesamt mehr als sechs Wochen pro Jahr über mindestens zwei bis vier Jahre an“, sagt Nathalie Oberthür. Doch die Erkrankungshäufigkeit alleine reicht für eine Kündigung noch nicht aus. „Entscheidend ist, dass es außerdem eine negative Zukunftsprognose gibt.“ Der Arbeitgeber darf also nur kündigen, wenn in Zukunft keine Besserung zu erwarten ist und er davon ausgehen muss, dass der Arbeitnehmer auch in den kommenden Jahren weiterhin ständig krank sein wird.

Und genau an dieser Stelle wird es knifflig: Bekanntlich hat der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf, die Diagnose zu erfahren und damit weiß er auch nicht, warum ein Mitarbeiter so häufig krank ist. In der Regel wird deshalb Beschäftigten mit überdurchschnittlich vielen Krankheitstagen im ersten Schritt gekündigt. Dagegen kann der betroffene Arbeitnehmer aber angehen. Ob die Kündigung rechtens ist, hängt vom Einzelfall ab. Üblicherweise wird das vor Gericht entschieden. „Kann der Arbeitnehmer die negative Prognose des Unternehmens entkräften, ist die Kündigung unwirksam“, sagt Nathalie Oberthür.

Zentral ist dabei meistens, ob die Erkrankungen ausgeheilt sind oder nicht. Keine Rolle spielt es dagegen, ob es sich um eine psychische oder eine körperliche Erkrankung handelt. Wer also eine echte Pechsträhne hatte und zuerst nach einem Sturz von der Kellertreppe drei Monate mit einem Bänderriss krankgeschrieben war, im nächsten Jahr erst mehrere Wochen Magen-Darm und anschließend eine langwierige Grippe hatte und im dritten Jahr nach einem Skiunfall wegen eines komplizierten Beinbruchs wieder wochenlang gefehlt hat, muss sich also kaum Sorgen machen.

Schließlich sind alle diese Erkrankungen völlig unabhängig voneinander, vollständig ausgeheilt, und es ist kaum davon auszugehen, dass diese Pechsträhne auch in den kommenden Jahren weiter anhalten wird. „Ist aufgrund der Krankengeschichte davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer in Zukunft wieder voll einsatzfähig sein wird, muss er weiter beschäftigt werden“, sagt die Arbeitsrechtlerin.

Ist keine gesundheitliche Besserung zu erwarten, kann im Einzelfall gekündigt werden

Anders sieht die Sache dagegen aus, wenn die vielen Krankheitstage durch mehr oder weniger dieselbe Grunderkrankung zustandekommen, wenn jemand beispielsweise ständig wegen Migräne oder Allergien ausfällt oder wegen einer Erkrankung des Immunsystems einen Infekt nach dem anderen hat. „Ist bei einem Arbeitnehmer auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein“, so die Juristin. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird aber, wie gesagt, immer im Einzelfall und meist mithilfe ärztlicher Gutachten vor Gericht entschieden.

Silke Becker
Autorin

Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.

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